Foto: Julia (Lavinia Dames) liebt und leidet auch bei Boris Blacher © Hans-Jörg Michel
Text:Andreas Falentin, am 17. April 2021
Mit „Romeo und Julia“ setzt die Rheinoper den Weg konsequent fort, für den man sich nach dem ersten Lockdown im Mai 2020 entschieden hat. Damals beschloss man, vorläufig auf Inszenierungen von Mainstream-Opern zu verzichten und ein repertoire aufzubauen, dass man unter Abstandsregeln und Hygienekonzepten dauerhaft spielen könnte. Dafür mussten Stücke und Projekte gefunden werden, die maximal 90 Minuten lang sind, kleine Bestzungen für Chor und Orchester aufweisen und mit hauseigenen Kräften zu gestalten sind.
Nicht nur aufgrund ihrer Länge von 70 Minuten erweist sich Boris Blachers Shakespeare-Kammeroper als hervorragende Wahl. Sie entstand 1943 in der innerern Emigration und wurde 1950 bei den Salzburger Festspielen prominent besetzt uraufgeführt. Der Komponist schrieb das Libretto auf Basis der Schlegel-Übersetzung des Stückes selbst, verdichtete, schmolz vieles zusammen, lässt etwa die Verbannung direkt ins Ende der Liebesnacht kippen, und fügte manches hinzu. Dabei konzentrierte er alles auf das liebende Paar, strich plastische Figuren wie Mercutio und Bruder Lorenzo, gestattete den anderen Nebenfiguren nur eine Art Cameo-Auftritte. Den, immerhin mit einem kurzen Monolog beschenkten, Moment des Benvolio macht Beniamin Pop mit makellosem, klangschönem Bass dennoch zu einem echten Höhepunkt.
Partner und Antagonist der Titelfiguren wird so der achtköpfige, aus Chor und Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein besetzte Solistenchor. Er repräsentiert die festgefahrene Situation, das inhumane, brutale Klima in der Stadtgesellschaft genauso wie die sich allmählich bahnbrechende Empathie mit dem Liebespaar. Der Chor spielt Lorenzos Giftfläschchen-Intrige durch, die an der Unpünktlichkeit der Post scheitert, der Chor schließt mit dem Monolog des Prinzen das Geschehen zu. Die Musik, die Blacher für diesen Chor geschrieben hat, ist überaus bemerkenswert, eine eigene Klangwelt irgendwo zwischen Kirchenmusik und Experiment, grandios einstudiert von Gerhard Michalski und hinreißend gesungen.
Wie überhaupt die Musik den stärksten Eindruck hinterlässt. Ein nach innen gerichtetes Brennen ist da über weite Strecken zu hören und zu fühlen, eine Einsamkeit, die aber fast nie Aufschrei wird, sondern Romeo und besonders Julia zu zerstören, geradezu zu dekonstruieren scheint.. Christoph Stöcker arbeitet das mit dem neunköpfigen Orchester furios und behutsam heraus, Jussi Myllys und Lavinia Dames lassen es in jedem Ton hören. Obwohl Dames bei aller Expression und Musikalität ein wenig schmal klingt, man sich immer wieder Rundung, Farbe wünscht. Was vielleicht auch daran liegt, dass ihre Stimme das Mikrophon nicht mag. Auf der Bühne hörte ich von ihr oft anderes.
Last, but not least: Die Inszenierung von Manuel Schmitt. In der Personenführung gelingt es ihm, den Gestus der Musik aufzunehmen. Enger Körperkontakt ist bekanntlich zurzeit auf Bühnen nicht möglich. Das Zeigen des sich-nicht-Berührenkönnens jedoch intensiviert klug die von der Musik ausgehende Atmosphäre, ihr gedämpftes, rhythmisiertes, den Zuschauer und -hörer nie freigebendes, unruhiges Parlando. Interessant ist Schmitts Umgang mit dem „Chansionnier“, einer hinzuerfundenen Nebenfigur. Sie singt Tenor und leitet die einzelnen Szenen mit an Weill und Hindemith geschultem Crossover-Gesang ein. Schmitt stellt dieses zusätzliche Distanzierungsmittel aus, in dem er den hervorragend gestaltenden Florian Simson am Anfang und Ende wie Elisabeth I. gewandet und ihm zwischendurch andere Auffälligkeiten anzieht. Ein Schachtelteufel springt da aus der Schwarz-Weiss-Optik.
Auch Heike Scheeles Raum ringt um Abstraktion., eine rechteckige Spielfläche, im hinteren Teil umbaut von einer auf Holzgerüsten ruhenden, mit einem Geländer versehenen, etwa zwei Meter hohen Galerie. Auf der Fläche wird gekämpft, begegnen sich die Liebenden, sterben sie. Oben sieht der Chor zu – jeder und jede hat eine eigene Öffnung in der Rückwand – und spreizen sich die Capulets mit einigen redundanten heutigen Requisiten.
Fazit: Das Stück reißt mit, ist schon in dieser vorsichtigen, fast wie ein extrem sensibler Elefant durch den Porzellanladen schleichenden, aber handwerklich sehr sauberen Inszenierung sehenswert, die ruhig und strukturiert filmisch aufbereitet wurde. Es sollte in der Post-Corona-Zeit, die ja hoffentlich doch irgendwann anbricht, mal ausprobiert werden, vielleicht ja sogar mal im Doppel mit Leoncavallos „Pagliacci“.
Die Inszenierung steht ein halbes Jahr lang kostenfrei auf der Pattform Operavision zur Verfügung.