Auf der Theaterebene erwies sich die Alte Aula dann allerdings doch als der erwartete genius loci. Rehm, Friedrich und Kallenberg verwenden Rameaus Oper als klangliches Fundament und geistiges Sprungbrett für eine Vorlesung über Zukunftsphantasien. Die Dioskuren-Zwillinge, der sterbliche Castor und der unsterbliche Pollux, die auch durch Tod getrennt nicht voneinander lassen können, werden als ein Mensch betrachtet. Durch Castors Tod löst sich das Bewusstsein vom Körper, so hier die Setzung, die zur fast rauschhaften, audiovisuellen Artikulation einer Gedankenmasse über die Zukunft führt.
Was könnte das sein, Singularität? Werden wir demnächst alle unsterblich, indem wir unser Bewusstsein in irgendeine Cloud hochladen, bevor unsere Körper endgültig verwelkt sind? Wie könnte so ein Ort beschaffen sein? Und vor allem: Wer könnte ihn nutzen? Um diese Fragen zu stellen, Antworten anzureißen, Ängste zu artikulieren, fanatische bis arrogante Wissenschaft samt Fatalismus zu präsentieren, wabern sprechende Menschen über Bildschirme, eingeleitet und kontrastiert durch Naturphotographie, mehrfach unterbrochen durch eine diffuse, effektvoll bebilderte, aber kaum verständliche filmische Nebenhandlung, laut Programmheft eine „Metanarrativblackbox“.
Vieles, was die Posthumanismus-Philosophin Janina Loh, der Soziologe Dirk Baecker, der Tierrechtler und Buchautor Fahim Amir, der verstorbene Physiker und Leiter des Heidelberger Human Brain Project Karlheinz Meyer und der Journalist und Ordenspriester Bruder Paulus Terwitte äußern, rauscht vorbei, einiges hakt sich fest und befruchtet durchaus die minimalistische Bühnenaktion. Auch diese bleibt schon einmal im Ungefähren, beeindruckt andererseits aber durch die Konzentration des Ensembles samt unprätentiösem Körperspiel. Sowie durch ein klares Bekenntnis zum Erzählen. Was sowohl für den Mythos an sich gilt, wie für seine Weiterschreibung ins Heute. Hierfür müssen die als Sänger ausgebildeten Darsteller sprechen. Was ganz erstaunlich gelingt, gerade im Vergleich mit handelsüblichen „Zauberflöten“-Repertoireaufführungen an deutschen Stadttheatern. Besonders die französische Mezzosopranistin Natalie Peréz und der finnische Bassbariton Jussi Juola, die auch musikalisch herausstechen, nehmen mit ihrem rein sprachlichen Vortrag gefangen.
So ist „Castor&&Pollux“, trotz technischer Schwächen auf allen Ebenen und manchen Momenten geradezu schmerzlicher Naivität, ein, wie eingangs bereits konzediert, anregender Abend, veredelt mit Inseln von Klangmagie.