Foto: Rainer Mesecke (Arthur), Minseok Kim (Sandy) und James Tolksdorf (Blazes) in „Leuchtturm” © H. Dietz Fotografie, Hof
Text:Christine Wild, am 17. März 2019
Komplett aus dem Nichts baut sich in Sekundenschnelle mit waberndem Scheppern der gewaltige Klang eines Tamtam-Schlags auf, um im nächsten Moment wieder zu verklingen. Parallel betritt kein geringerer als Hans Christian Andersen durch die Tür im Eisernen Vorhang die Vorbühne im Großen Haus des Theaters Hof. Als Erzähler seines eigenen Märchenstoffs lässt sich Rainer Mesecke, der den dänischen Dichter verkörpert, auf einem Sessel am linken Bühnenrand nieder. Nun erklärt er seine „Versuchsanordnung“, nachdem sich der Eiserne Vorhang gehoben hat: In Scherenschnitt-Ästhetik hat Ausstatterin Annette Mahlendorf ein viereckiges, weißes Podest geschaffen, auf dem Karsten Jesgarz als „gelehrter Gutmensch“ verkündet: „Ein guter Mensch macht die Welt schön; eine schöne Welt macht den Menschen gut!“.
Ein Rundes, höheres Podest wird zur Heimstatt der „volksnahen und extrem heiratssüchtigen Prinzessin“ (Inga Lisa Lehr), wie sie der Erzähler mit einem durchaus erkennbaren Mangel an Respekt vorstellt. Ein düsterer Rahmen im Hintergrund ist die Spielfläche von Stefanie Rhaue als Poesie, die „wie immer ohne eigenen Standpunkt ist und zwischen allen Stühlen sitzt“.
Und schon kann das Spiel beginnen. Das Spiel mit dem Schatten: „Schattenspiele“ von Hans Gefors, uraufgeführt 2005 und in der Hofer Inszenierung erst zum zweiten Mal in Deutschland zu erleben. So ist die erste Oper des Doppel-Premierenabends im Theater Hof überschrieben. Nach der Pause folgt „Der Leuchtturm“ von Peter Maxwell Davies. Und so unterschiedlich die beiden Werke auch sind, ist ihnen doch Grundlegendes gemein: Sie spielen beide mit dem Schatten, der dunklen Seite des Menschen; reißen Wunden, blicken in die Abgründe der menschlichen Seele, wagen die Reise ins Unbewusste.
Was anstrengende Kost verheißt, nimmt Regisseur Uwe Drechsel (jedenfalls im ersten Teil des Abends) ganz leicht. Ironisch überzeichnet er das gesamte Personal, das sich in „Schattenspiele“ scherenschnittartig über das schwarz-weiße Spielfeld von Annette Mahlendorf bewegt – unterstrichen durch die süffisant-respektlosen Worte, die Drechsel seinem Erzähler in den Mund legt.
Mit grausamer Zielstrebigkeit lässt er James Tolksdorf als Schatten des Gelehrten die idealisierte (Schein?-)Welt des Gutmenschen demontieren und dessen dunkle Seite über die helle triumphieren. Viel berechnenden Charme legt James Tolksdorf dafür in seinen weichen Bariton, während Karsten Jesgarz‘ kraftvollem Tenor die Verzweiflung des Gelehrten nach anfänglichem Schöngesang immer stärker anzumerken ist.
Hingegen in reinem Schöngesang setzt Stefanie Rhaue als standpunktlose Poesie ihren runden Mezzosopran ein, während Inga Lisa Lehr als hysterisch-derbe Prinzessin im walkürenhaft aufgeplusterten Kleid zwischen kunstvollen Tönen und beinahe kreischend zugespitztem Sopran changiert. All diese Möglichkeiten erlaubt die kontrastreiche musikalische Collage von Hans Gefors, die Avantgarde mit Alter Musik vereint. Genussvoll schwelgen die Hofer Symphoniker in den vielen wunderschönen Melodien seiner Komposition, die immer im harmonisch-tonalen Rahmen bleibt.
Analog zur leichtfüßig-tänzelnden Personenregie Uwe Drechsels mit choreographierten Elementen von Ewelina Kukushkina lenkt auch Daniel Spaw die Hofer Symphoniker ganz leicht durch die eigentlich tief dunklen Gewässer dieses beeindruckenden Doppel-Opernabends. Jedenfalls im ersten Teil.
Nach der Pause nämlich tritt die erwartete Schwere des Themas zu Tage. In einer Gerichtsverhandlung müssen sich die drei Offiziere (Minseok Kim, James Tolksdorf und Rainer Mesecke) den Fragen der Staatsgewalt zum mysteriösen Verschwinden dreier Leuchtturmwärter stellen. Doch treten die Richter nicht persönlich auf, sondern schweben in Form zweier stilisierter Büsten unheimlich über Bühnenpersonal und Zuschauern. Eine Stimme verleiht ihnen Hornist Alan Korck aus den Reihen der Hofer Symphoniker, der in schaurigem Anklageton sehr differenziert das gesamte Spektrum an Klangeffekten auskostet, das sein Instrument hergibt.
Zum „Leuchtturm“, wie die 1980 uraufgeführte Oper von Peter Maxwell Davies überschrieben ist, öffnen sich im Verlauf die beiden Wände, vor denen zunächst verhandelt wurde und geben den Blick frei auf ein Podest mit etwa drei Metern Durchmesser, auf dessen klaustrophobisch engem Raum sich die drei Sänger, nun als Leuchtturmwärter Sandy, Blazes und Arthur, zusammenraufen müssen.
Die drei komplett unterschiedlichen Charaktere müssen es zusammen aushalten, währen draußen ein furchtbarer Sturm tobt. Und den macht nicht nur das gemalte Prospekt im Hintergrund sichtbar, sondern die Hofer Symphoniker unter Daniel Spaw zeichnen ihn auch musikalisch in kaum zu übertreffender Plastizität nach: Zitternde Streicher, flatternde Bläser und tosendes Schlagwerk erwecken die unheilverkündenden Naturgewalten zu furchteinflößendem Leben und sorgen in Kombination mit Annette Mahlendorfs schattenüberzogenem Bühnenbild für extrem unheimliche Atmosphäre. Umgeben von diesem Horror-Szenario geraten nun die drei Wärter in Konflikte: Konflikte untereinander und Konflikte mit sich selbst, die Uwe Drechsel sie aber nicht in körperlicher, sondern in rein stimmlicher Aktion austragen lässt. Die meiste Zeit sitzen die drei Herren um den engen Tisch, und einzig die Aktion ihrer Hände, wenn sie im Kartenspiel das Blatt tauschen, bringt sichtbare Bewegung – vor allem im vielfachen Schattenspiel.
Die gesamte inhaltliche Spannung geht in dieser atmosphärischen Inszenierung von der Reduktion auf die Stimmen der drei Darsteller aus. In oft riesigen Tonsprüngen und furchteinflößendem Falsett outet sich Blazes (James Tolksdorf) als brutal-aggressiver Typ. Sandy (Minseok Kim) offenbart (wie alle drei nur indirekt und von Peter Maxwell Davies genial in ein erschreckend-faszinierendes Gebilde aus vordergründiger Leichtigkeit gepaart mit verstörendem Inhalt verpackt) mit beängstigend-lieblichem Tenor seine pädophil-inzestöse Neigung. Und Arthur (Rainer Mesecke) steigert sich mit zunächst frömmelndem, dann aber der Kraft des gefährlichen Fanatikers ausgestatteten Bass zu fanatischen Bekehrungsoden. Bestien lassen sie – allein mit der Gewalt ihrer Stimmen – aus der See und ihren Seelen erscheinen, bevor sich nach 70 spannungsgeladenen Minuten der Vorhang schließt – und das Mysterium um das Verschwinden der drei Leuchtturmwärter nach wie vor ein Rätsel bleibt.