Foto: "Du Hitler" am Nationaltheater Mannheim. Sebastian Brummer, Helene Schmitt © Christian Kleiner
Text:Vanessa Renner, am 20. April 2015
Die Konstellation ist spannend. Da ist die Biografie Hitlers. Einblicke in seine Jugendzeit. Eine Perspektive, die eigenartiges Unbehagen auslöst: der 15-Jährige, der Hitler einmal war. Wie stellen wir ihn uns vor? „Du Hitler“ von Kristo Šagor spiegelt diese Frage in vier Bühnenfiguren und deren Lebensläufen wider. Für die deutsche Erstaufführung am Mannheimer Schnawwl übernahm der Autor die Regiearbeit. Das Stück ab 15 Jahren dürfte jedoch kaum ausschließlich für junge Menschen interessant sein.
Alltagsfaschismus. Überspitzt formuliert: wie viel Hitler „steckt“ in Frank, Mario, Jessica und Johannes? Frank, der voller Missachtung für seine Schüler beim Korrigieren von Klassenarbeiten Gewaltfantasien entwickelt. Jessica, die mit großäugiger Unschuldsmiene überlegt, in welchem Winkel sie ihren kleinen Halbbruder auf den harten Küchenboden fallen lassen müsste, damit er – wie sie sagt – nicht „kaputt“, sondern nur „dumm“ würde. Untermalt von einer heiteren Melodie. Die Musik zieht häufig eine zweite Ebene zum Bühnengeschehen ein. Mario, der Unordnung hasst, in seinen Mitmenschen „ungesunde Muster“ erkennt, in Uniformen jedoch Beruhigung findet. Schließlich Johannes, der seine innere Raserei nachts im Auto auf Landstraßen auslebt. Schultern straff zurück, Kinn nach vorn, den Wahn im Blick.
„Du Hitler“ beschimpfen sich die vier Figuren wechselseitig, kleben sich auf dessen Spuren „Hitlerbärte“ an und kleistern die Haare mit Gel ein. Dabei springen die Schauspieler mühelos zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Wechseln Kleidung und Rollen, hellwach, mit bösem Humor. Eine großartige Ensembleleistung. Zu deren Entfaltung das schlichte, durch Schiebeelemente wandelbare Bühnenbild viel Raum bietet.
Inhaltlich geht an mancher Stelle einiges durcheinander: die Frage nach Zivilcourage steht neben Ekelszenen im Dschungelcamp. Hitler als „erfolgreichster Psycho“ inmitten von Superstars, die Deutschland in seinen TV-Castingshows kürt. Versatzstücke individueller Biografie und Gesellschaftsdiagnose laufen da nebeneinander her. Reizüberflutung ohne Einordnung, die das Stück schuldig bleibt.
Nach 90 Minuten turbulentem und wortgewaltigem Schlagabtausch bleibt Ratlosigkeit. Wie passen Alltagsfaschismus und Biografie Hitlers zusammen? Was fangen wir mit dem Wissen über den prügelnden Vater, den frühen Tod der Eltern und schulischen Misserfolg an? Welche Bedeutung hat all das angesichts der historischen Ereignisse? Die verübten Verbrechen, die Menschen, die der NS-Ideologie freiwillig folgten. Eine klare Haltung liefert „Du Hitler“ nicht, will es vielleicht nicht liefern. Das ist schwer verdaulich.
„Du musst Unklarheiten und Ambivalenzen aushalten“, heißt es an einer Stelle im Text. Damit wird der Ball zum Zuschauer zurückgespielt. Welche Haltung nehmen wir zur Vergangenheit und damit im Hinblick auf unsere Gegenwart ein? Hier offenbart „Du Hitler“ eine Lücke. Sie unausgefüllt zu lassen, ist bei aller Reizüberflutung zugleich eine Stärke des Stückes.