Foto: Paul Kmetsch und Ensemble des Theaters Regensburg in "Der Prinz von Schiras" © Marie Liebig
Text:Roberto Becker, am 17. Dezember 2023
Nach der erfolgreichen Wiederentdeckung des Komponisten Joseph Beer und seiner „Polnischen Hochzeit“ mussten auch andere Operetten aus seiner Feder zurück auf die Bühne. Am Theater Regensburg wurde nun zum ersten Mal in Deutschland die Liebeskomödie „Der Prinz von Schiras“ gespielt.
Nach einem imaginären roten Teppich für den Fürsten von Pappenheim in Annaberg-Buchholz nun noch einen für den Prinzen von Schiras. Was wie ein Spiel mit feudaler Restauration aussieht, ist aber „nur“ ein anerkennenswerter und gut republikanischer Versuch, eine kollektive Gedächtnislücke zu schließen. Im ersten Falle hat das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz gerade Hugo Hirschs Operette „Der Fürst von Pappenheim“ ausgegraben und ist prompt (wieder) mit Publikumsbegeisterung und bayerischem Operettenfrosch belohnt worden.
Im Falle des persischen Prinzen ist es das Theater Regensburg, das zur Operettenaudienz bittet: Hausherr Sebastian Ritschel hat den ebenfalls aus dem Repertoire verschwundenen und aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängten internationalen Operettenerfolg, den Joseph Beer mit dem 1934 in Zürich uraufgeführten Dreiakter „Der Prinz von Schiras“ einfahren konnte, als Chefsache selbst inszeniert. Mit Beer vertraut ist er schon, hat er doch in Graz bereits dessen „Polnische Hochzeit“ inszeniert.
Brüchiges Happy End in Regensburg
Mit dem „Prinzen von Schiras“ hat Ritschel in Regensburg seinem Publikum und allen Operettenfreunden ein Geschenk gemacht, das auf der Bühne von Kristopher Kempf auch genau so aussieht: Die Bühne wird beherrscht von einem riesiger, in Geschenkpapier eingeschlagener Karton, samt Band drumherum und Schleife obendrauf. Als diese Wunderkiste für den zweiten Teil geöffnet wird, gibt sie ein Revueambiente preis, das mit dem exotischen Reizen eines Operettenpersien fasziniert.
Die mit Rosen gespickte Innenseite des angehobenen und über allem schwebenden Deckels ist das i-Tüpfelchen obendrauf. Hier tummelt sich die reichlich beschäftigte und (auch gender-) divers kostümierte Balletttruppe. Dazu eine passende Treppe und reichlich Vorhangglamour. Im dritten Akt gibts dann zumindest eine optische Rückkopplung zur Wirklichkeit. Da ist das Geschenkpapier abgerissen und auf der Pappe steht HAPPY und AND – ein hübscher Versuch, das so unvermeidliche wie nur in der Operette mögliche Happy End doch noch zu hinterfragen …
Meister der Operette wiederentdecken
Präsentiert wurde eine Geschichte, für die Ludwig Herze und Fritz Löhner-Beda das Libretto verfasst haben. Der 1908 in der Nähe von Lemberg (heute Lwiw) geborene Joseph Beer selbst konnte dem mörderischen Rassenwahn der Nazis entkommen und bis Kriegsende in Nizza untertauchen (wo er 1987 auch starb). Seine Eltern, die Schwester und sein Librettist Löhner-Beda aber überlebten den Holocaust nicht. Nachdem die Staatsoperette in Dresden Anfang dieses Jahres mit Beers „Die polnische Hochzeit“ (1937) Furore gemacht hat, war im Grunde klar, dass auch sein „Prinz von Schiras“ wieder auf die Bühne kommen musste.
Im „Prinzen“ besingt der Titelheld immer wieder die Rosen von Schiras und versucht damit seine Angebetete zu gewinnen. In der „Polnischen Hochzeit“ heißt es dann drei Jahre später „In der Heimat blüh’n die Rosen – auch für mich, den Heimatlosen!“ Da schwingt, von heute aus betrachtet, mehr verlorene Heimat, Zukunft und Hoffnung mit, als damals vielleicht gemeint war. Die Rezeptionsgeschichte jedenfalls verweigerte seinen musikalischen Operetten-Rosen in den folgenden Jahrzehnten das Erblühen.
Einer der Vorzüge, die das deutsche Stadttheater immer noch bietet, ist die Möglichkeit, gerade auf diesem Feld historische Aufarbeitungspflicht mit Entdeckerfreude zu kombinieren. Angemessen in Szene gesetzt, kann man das Publikum mit solchen Wiederentdeckungen jenseits eines immer gleichen Repertoires begeistern. Abgesehen davon ist es ein Zusatzvergnügen, dem Spiel mit den Geschlechterrollen von vor einhundert Jahren zu begegnen und in den Texten den Triggerwarnern und Gralshütern der Korrektheit, im Bündnis mit den Könnern von damals, kichernd ein Schnippchen zu schlagen.
Liebe unter Angriff
Der Plot von „Der Prinz von Schiras“ ist ziemlich operettig: Der Luxusliner als erster Schauplatz, passt zum Werben des geheimnisvollen persischen Prinzen Nadir (Carlos Moreno Pelizari) um die junge Amerikanerin Violet (Kirsten Labonte). Als die Japaner das Schiff angreifen und alle Amerikaner an Bord internieren wollen, nutzt der Prinz die Chance: Er gibt Violet als seine Braut aus und nimmt sie mit nach Persien. Dass sie so ihren ungeliebten Verlobten Hastings (mit einem charmanten Hauch von Knallcharge: Michael Haake) los wird, kommt ihr gerade recht.
Das zweite sonderbare Paar sind Nell (Scarlett Pulwey) und Jimmy (Paul Kmetsch), wobei er der Spross einer schwerreichen Familie ist, was er wegen einer Wette auch vor seiner Frau zunächst verheimlicht. Für komödiantischen Zunder sorgen außerdem der Haushofmeister des Prinzen Hassan und seine Frau Fatma, wobei hier schon die Besetzung mit Fabiana Locke und Felix Rabas für humorigen Treibstoff zwischen den melodischen Gefühlsausschweifungen sorgt. Als eine Art Spielmacher in dieser Truppe fungiert Vicomte de la Motte-Latour (Matthias Strömer). Für ihn hält das Personaltableau immerhin die Schwester des Prinzen Jasmine (Theodora Varga) bereit.
Perfekte Operette in Regensburg
Bis da zusammenkommt, was zusammengehört, gibt es noch den Umweg über einen kleinen Zusammenprall der Kulturen. Die Amerikanerin spielt zwar in Persien pro forma eine Weile als Quasi-Ehefrau mit, aber der Einzug in einen Harem steht nicht in ihrer Lebensplanung. Der Deal: formale Hochzeit gegen Ausreise. Vollends Kurs aufs Operetten-Happyend nimmt das Ganze dann im dritten Akt. Auf Violets Hazienda in Alabama treffen sich alle Paare wieder. Natürlich auch der Prinz. Direkt nach der verabredeten formalen Hochzeit soll hier die Scheidung erfolgen. Nach einem gegenseitigen Liebesgeständnis verzichtet man aber drauf. Auf der lädierten Kiste kann man sich jetzt also als Zuschauer zu HAPPY und AND getrost ein Frage- oder ein Ausrufezeichen denken. Und sich vor allem über diesen neuerlichen Ausgrabungscoup von Herzen freuen.
Zumal Stefan Veselka mit dem Orchester in Regensburg offensichtlich in der mitreißenden Musik des damals gerade 24-jährigen Komponisten unter Wunderkind-Verdacht schwelgt. Mühelos gelingt der Wechsel zwischen Pathos, Melodienschmelz und flottem Rhythmus. Dabei hilft die gekonnte Instrumentierung zu der auch Saxophone, Banjo, Xylophon, Vibrafon und Gong gehören. Mit Chansons, Tango, Englischem Walzer, Marscheinlagen, jazzigen Nummern und exotischem Klangflair unterlegt, kann man mühelos zwischen verschiedenen Kulturkreisen wechseln, was besonders beim orientalischen Klang verblüfft und Freude macht.