Nach dem Wagner-Marathon, mit dem Ulf Schirmer seine Intendanz am Ende selbst krönte, lag es für dessen Nachfolger gleichsam auf der Hand, den Blick zu weiten. Mit „Hans Sachs“ freilich entkommt man zumindest dem Bezug zu Wagner nicht. Der hat es ja selbst gesagt: „Verachtet mir die Meister nicht.“
Es ist natürlich Richard Wagner, der mit seinen „Meistersingern“ dank seiner Wirkungsübermacht das gültige Opernporträt des dichtenden Schusters festgeschrieben hat. Samt seines Umfelds und seiner Gegenspieler. Bei Lortzing gibt es mit dem Lehrbuben Görg ebenso einen Vorläufer des David, wie mit dem Ratsherrn Eoban Hesse einen des Beckmesser und mit dem Bürgermeister Steffen einen von Meister Pogner.
Schwache Intrigen aus Leipzig
In der Oper „Hans Sachs“ kommt zwar der Kaiser Maximilian I. zu Auftrittsehren, wobei der kunstsinnige Monarch den intriganten Eoban entlarvt und so höchstpersönlich das Happy End und das Hoch auf sich selbst einleitet. Aber es bleibt eine eher simple Intrige, bei der Sachs beim Sängerwettstreit und als würdiger Heiratskanditat für die Bürgermeistertochter Kunigunde zunächst ausgebootet wird und sich zusammen mit Görg eine Wanderschafts-Auszeit nimmt.
Bei Rahel Thiel (Inszenierung), Elisabeth Vogetseder (Bühne) und Renée Listerdal (Kostüme) schreitet der Kaiser (Christian Henneberg) schon vor seinem Auftritt mit Krone vom Seitenrang aus mit Würde aber unerkannt durch den Saal und überreicht dem bedrängten Sachs die Partitur der „Meistersinger“. Da hat der leichtfüßige, geflügelte Cupido auch schon mal ein Wagner-Barett auf seinem Lockenkopf. Wenn Tobias Engeli mit dem Orchester der Musikalischen Komödie und Justus Seeger als Hans Sachs für Momente auf Wagner und vom eher jungen Hans Sachs bei Lortzing auf den Lebensweisen bei Wagner umschalten, ist das ein Moment des Ahistorischen, der tatsächlich sogar berührt.
Aufgefrischtes Libretto
In der Inszenierung zieht der Cupido oft die blaue Gardine vor die Szene. Dabei geht es zwar nicht vordergründig um eine distanzierende Verfremdung, aber doch um eine Art Entrümplung. Die Bühne kommt mit einem abstrakten Guckkasten hinter der Beinahe-Brechtgardine aus. Für ein „Nürnberg irgendwann“ reicht das inklusive der Chorpodeste völlig.
Zumal der von Mathias Drechsler einstudierte, wie immer spielfreudige Chor hübsch bunt, quer durch die Zeiten und Berufe kostümiert ist. Dazu gibt’s augenzwinkernd dazwischen gestreute Liebeslyrik von Heine, Brecht und sonstiger fremder Hand oder auch mal einem Ausfallschritt in die Sprache der Gegenwart. Das ist auch gut so, denn blieben die Interpreten in ihren gesprochenen Beiträgen allzu penibel am Libretto, bei dem dem Komponisten Philipp Reger und Philipp Jakob Düringer zur Seite standen, würde es nicht nur gelegentlich arg tümeln.
Auch so fallen immer genügend Sinnsprüche für Kissen auf dem Biedermeiersofa ab. Fleiß, Heimat, Treue kommen jedenfalls nicht zu kurz. Das eingefügte, gesprochene „Wacht auf, es nahet gen den Tag“-Zitat freilich macht nicht nur Sinn, sondern bereitet auch dem musikalischen Wagnerexkurs den Weg. Im Programmheft bezeichnet die Regisseurin die „Meistersinger“ als das Bruderwerk des von ihr inszenierten „Hans Sachs“. Na ja, ein bisschen weitläufiger ist die Verwandtschaft schon. Es ist wohl der Respekt vor der weithin unbekannten Ausgrabung, die hier beherzteres Kürzen verhindert hat.
Ein spannender Seitenblick
Musikalisch ist Lortzing bei sich, auch wenn es zwischen Schuster und Kaiser nicht ganz so stringent wie zwischen Zar und Zimmermann zugeht. Aber die Chöre machen besonders bei ausbrechendem Chaos Spaß, die Solonummern profitieren von der Freude am Melodischen, mit einigen a capella-Einschüben verblüfft der Bühnenpragmatiker Lortzing sogar.
Das Ensemble überzeugt vor allem von der Seite. Denn für Justus Seeger ist der Hans Sachs eine spürbare Anstrengung. Für die Partie der Kunigunde setzt Mirjam Neururer zu oft auf eine scharfe Höhe. Für Adam Sánchez ist der Görg natürlich keine Hürde und Sandra Maxheimer ist seine beredt anmutige Braut Cordula. Mit bewährten Komödiantencharme machen Andreas Rainer aus Eoban Hesse und Milko Milev aus dessen Beinahe-Schwiegervater eine vokal und darstellerische Show für sich.
Zum Profil der Musikalischen Komödie passt diese komische Oper von Albert Lortzing. Sie ist zwar keine ernsthafte Konkurrenz zu den „Meistersingern“, auch nicht zu „Zar und Zimmermann“, aber einen amüsanten Blick von der Seite auf ein alternatives Opernnürnberg bietet sie. Das Premierenpubilkum würdigte die Kunstanstrengung angemessen.