Wenn nun in Magdeburg der Intendant Julien Chavaz die einst höchst erfolgreiche Operette „Die Blume von Hawaii“ selbst inszeniert, dann ist das nicht nur in dieser Hinsicht ein Statement. Es signalisiert auch die Absicht, das Publikum durch Unterhaltung vom Feinsten ins Opernhaus (zurück) zu locken. Und den Mut zum Risiko, das Tempo, den Übermut und Glamour, sprich: den Zeitgeist vom Anfang der 30er-Jahre, also kurz vor der Schussfahrt in den Abgrund des vorigen Jahrhunderts, zu treffen.
Wildes Wechselspiel in Magdeburg
Das Libretto von Alfred Grünwald, Fritz Löhner-Bender und Emmerich Földers ist ziemlich operettenverzwickt, schon weil die Schauplätze zwischen Hawaii und Monte Carlo pendeln: Die USA sind gerade dabei, Hawaii zu kassieren, da soll durch Rückkehr, Krönung und Heirat der hawaiianischen Prinzessin Laya mit Prinz Lio-Taro den Amerikanern (und ihrer Gouverneurin Laura Harrison) noch einmal ein Strich durch die Annexionsrechnung gemacht werden. Was natürlich nicht gelingt. Dafür gibt es ein ziemlich verwirrendes Liebes-Wer-mit-Wem, samt diverser Unwahrscheinlichkeiten, über die das Publikum freilich von der hier dazuerfundenen, ehemaligen Operetten-Diva Frau Schröder dankenswerterweise immer wieder aufgeklärt wird.
Chavaz umrahmt die eigentliche Geschichte mit einem Besuch in Frau Schröders Stamm-Metzgerei – irgendwann heute, irgendwo hierzulande. Hier kauft sie jeden Freitag ein Biohuhn. Mit dem Kopf und ihrem Herzen ist sie freilich in jenem Operetten-Hawaii von Abraham. Susi Wirth spielt das hinreißend, immer leicht neben der Spur, reißt aber mit ihrer Schwärmerei die bis dahin wenig operettenaffine Fleischverkäuferin Dani dazu hin, eine Leerstelle in einem Irgendwo-Theater auszufüllen, in dem gerade der Abraham-Hit einstudiert wird. Dort hat man den im Original ganz im Geist seiner Zeit mitspielenden schwarzen Jazz-Musiker Jimmy einfach gestrichen, weil der fürs Theater heute offensichtlich ein Problem ist. Immerhin benennt man in Magdeburg die so entstehende Leerstelle offensiv als solche und füllt sie (pragmatisch) mit einem Nebenjob für die Fleischverkäuferin.
Political correctness und die Operette
Für sich genommen funktioniert das Ganze, als mitreißendes Theaterereignis auch ohne einen echten oder schwarz geschminkten Jazz-Musiker. Schon, weil sich Carmen Steinert als Dani nach anfänglichem Sträuben mit wachsender Begeisterung und mit lakonischem Charme auf die ihr aufgedrängte Rolle gekonnt einlässt. Dass Jimmys melancholisches Solo im dritten Akt nicht mit „Schwarzes Gesicht, wolliges Haar, großes Saxophon“, sondern bei Dani mit „Blasses Gesicht, strähniges Haar, wenig eloquent“ beginnt und auch sonst auf „heute korrekt“ umgedichtet ist, bleibt eine unter die Show geschmuggelte Nachdenk-Papierblume. Blendet man die zunehmend absurderen Debatten um das sogenannte Blackfacing (das in der Absetzung einer Inszenierung von Ernst Kreneks „Johnny spielt“ im Münchner Gärtnerplatztheater ihren bisherigen Tiefpunkt erreichte) aus, dann ist das eine in sich stimmige Variation der Geschichte.
Macht man das nicht, umweht die Magdeburger Bearbeitung ein Hauch von Ärgervermeidungsstrategie. Wobei man sich mit Sorge fragen kann, wann alle anderen fröhlich mit Klischees spielenden Operetten (nicht nur der „Zigeunerbaron“, der schon dran war) und dann die „Zauberflöte“ und ähnliche Opern-Hochkaräter rückwärts durchkorrigiert werden. Irgendwann landen wir dann beim O*-Wort fürs Genre, weil sich niemand mehr zur Operette zu bekennen wagt…
Verdienter Jubel fürs Magdeburger Ensemble
Aber das ist Schwarzmalerei für die Zeit nach dem einhelligen Jubel über die mitreißende Variante dieser Abraham-Operette in Magdeburg, in der ein spielfreudiges Ensemble exzellent unterhält und für die die Regie und der Graben genau das richtige Tempo finden. Kai Tietje setzt seine ganze Musical- und Operettenkompetenz ein, um die Magdeburger Philharmonie mit Verve und Sinn für die Show atmosphärisch mitzureißen und auf Hawaii- und Golden-Twenties-Kurs zu bringen. Das (mikroportverstärkte) Ensemble und der fabelhaft von Martin Wagner ein studierte und mit prächtigen Kostümen bedachte Chor sind in Topform.
Die Bühne auf der Drehbühne hat Jamie Vartran wohltuend auf Transparenz abgerüstet, was die Kostümopulenz von Wojciech Dziedzic bestens in Szene setzt. Einschließlich Pfauenfederkopfschmuck und Glamour und für das mit Lust am schwulen Klischee geschwungene auch männliche Tanzbein. Da lässt der Käfig voller Narren grüßen, denn zu Glück fürs Feuerwerk der Effekte hat hier die Korrektheits- beziehungsweise Zensur der Dramaturgie-Abteilung noch nicht zuschlagen.
Das Spiel mit den Klischees
Auch sonst beherrschen sie das leicht ironische Spiel mit Klischees ganz fabelhaft. Wenn der Widerstand in Hawaii königlich ernst wird und die Amerikaner aufmarschieren, ist es dem prachtvollen Gewand von Prinzessin Laya und ihrem Verehrer Kapitän Stone zu verdanken, wenn ein von Puccini-Parodie durch den Raum weht. Meike Hartmann macht dabei sowohl als Prinzessin als auch in ihrem Exil-Inkognito als Varieté-Star Suzanne Provence fabelhafte Sopran-Diven-Figur.
Als ihr Verehrer Stone avanciert Stefan Sevenich mit seinen hinreißenden Tanzeinlagen (im Stile von Dirk Bach) zum Publikumsliebling. Alexander Sprague steuert als Prinz Lilo-Taro melancholisch schwärmerischen Tenorschmelz bei. Als Bessi und Buffy sorgen Emilie Renard und Adrian Domarecki immer wieder dafür, dass es im Theater auf dem Theater weitergeht. Am Ende bleibt alles ein Operettentraum in der Metzgerei. Über die Generationen hinweg und dem tristen Alltag heraus. Dass an diesem Abend hochverdienter Jubel und Fragen bleiben, ist nicht das Dümmste, was einer Operette heutzutage passieren kann.