Szene aus "Das Rheingold"

Der Anfang als Ende

Richard Wagner: Das Rheingold

Theater:Theater Dortmund, Premiere:09.05.2024Regie:Peter KonwitschnyMusikalische Leitung:Gabriel Feltz

Altmeister Peter Konwitschny beendet seinen Ring am Theater Dortmund mit dem „Rheingold“. Dabei beweist er einmal mehr, wie gut er Menschen zeichnen und wie humorvoll Pessismus sein kann.

Ob nun als Herausforderung oder Angebot ans Publikum oder einfach, weil es sich so besser realisieren ließ: Beim neuen Dortmunder Ring kommt es nicht auf die „richtige“ Reihenfolge seiner Teile an. Jeder soll für sich stehen und auch gesehen werden können, so jedenfalls der Regisseur.

Anzeige

Anderer Reigen in Dortmund

Ein szenisches Logo hat dieser Ring aber. Bevor es losgeht, kracht jedes Mal vor dem geschlossenen Vorhang und dem ersten Ton eine Baumkrone zu Boden. Der Griff des Menschen nach der Natur als Sündenfall sozusagen. Bei seinem Ring-Projekt ist Altmeister Peter Konwitschny nach „Walküre“ und „Siegfried“ nun beim „Rheingold“ angekommen. Die „Götterdämmerung“, mit der die Tetralogie in der nächsten Spielzeit komplettiert wird, hat sich in Stuttgart beim legendären Stuttgarter Ring mit vier verschiedenen Produktionsteams schon bewährt.

Opernintendant Heribert Germeshausen hat Konwitschny gewissermaßen zu einer interpretatorischen Mittelvariante ans Theater Dortmund eingeladen. Ihr Motto lautet: ein Regisseur und vier verschiedene Ausstatter. In der „Walküre“ war es Frank Philipp Schlößmann, im „Siegfried“ Johannes Leiacker und im „Rheingold“ lieferte Jens Kilian die Ausstattung. In der Stuttgarter „Götterdämmerung“ stammte sie von Bert Neumann. Im Grunde ist Konwitschny mit der Premiere des „Vorabends“ also mit seiner Version des Operngroßprojektes durch.

Germeshausen hat bei jeder Ring-Premiere mit seinem ambitionierten Wagner-Kosmos den Blick auf Zeitgenossen des Komponisten und dessen Nachwirkungen erfolgreich eingerahmt. So geht Spielplandramaturgie mit Anspruch. Der Publikumserfolg, auch der jüngsten „Rheingold“-Premiere, ist dafür eine wohlverdiente Sofortprämie; die Profilierung des Hauses eine längerfristige Nachwirkung.

 

Eine Person in Fellkleidung lieht auf einem Stein vor einer Art Zelt, eine andere Person in Fellkleidung schaut auf sie.

An den Anfang der Zeit geht Peter Konwitschny in Dortmund. Foto: Thomas M. Jauk

Im „Rheingold“ zieht Konwitschny souverän alle Register seines Könnens. Er spürt in jeder Szene den komödiantischen Witz auf, ohne das als puren Klamauk zu verramschen. Er zeigt allemal das Menschelnde in der Göttersippschaft oder bei den Riesen und das Abgründige bei den Nibelungen.

Es beginnt als sichtbares Theater mit einem Alberich, der die Angel in den Orchestergraben hält, in dem der Rhein mit packender Intensität zu fließen beginnt. Der geschlossene Vorhang wird in die Neckerei einbezogen, die die Rheintöchter (Sooyeon LeeTanja Christine Kuhn,Marlene Gaßner) mit Alberich veranstalten. Fürs Unten und Oben erklimmen sie eine Stehleiter.

Schamanen zwischen Dortmund und Erfurt

Das Rheingold ist eine riesige, golden schimmernde Plane auf dem Boden. Die Götter hausen in Jurte, Zelt und Erdhöhle. Auch sonst bevorzugen sie den Fred-Feuerstein-Look. Man spielt mit einem Knochen wie heute mit den Handys. Wotans Speer ist ein Riesenknochen, man prostet sich mit Trinkhörner zu. Es ist ein Spielplanzufall, aber die Ähnlichkeit zu dem Schamanenaufmarsch vor kurzem im Erfurter „Rheingold“ verblüfft. Aber nur auf den ersten Blick.

Auf den zweiten macht der Vergleich den Unterschied zwischen Effekthascherei (in Erfurt) und einem Regietheater deutlich, das souveräne Personenregie ebenso beherrscht, wie das Spiel mit den Zeiten und Bedeutungsebenen.

Theater über Menschen

Für den Witz, der bei Konwitschy hinter jeder Ecke lauert, mag die Geste stehen, mit der Fricka Wotans Behauptung quittiert, das er ein Auge für sie geopfert habe. Diese zupackende, lebenspraktische Göttergattin zeigt ihm einfach den Vogel, so nach dem Motto „Das kannst du sonst wem erzählen!“

Natürlich übersieht Konwitschny nicht, was sich zwischen Fasolt und Freia während der Entführung entspinnt. Er macht daraus eine anrührende Liebesgeschichte. Soviel Mitgefühl mit einem unter der rauen Schale schüchternen, sich nach Liebe sehnenden Fasolt hat man auch noch nicht erlebt. Er hat schon bei der ersten Begegnung einen Blumenstrauss dabei, wirbt um sie, die ihm laut Vertrag eh zusteht. Sie hockt dann ihrerseits tieftraurig über seiner Leiche. Am Ende überlebt auch Freia (Irina Simmes) nicht. Ein Hauch von Tristan und Isolde, der im Hintergrund durch die Szene weht.

 

Mehrere Menschen in Anzügen oder weißen Overalls agieren in einer Reihe vor deinem Prospekt mit Hochhäusern.

Der dritte Akt führt in Dortmund in den modernen Großstadt-Moloch. Foto: Thomas M. Jauk

Oper mit Zeitreise

Bei der Exkursion von Wotan und Loge nach Nibelheim geht Konwitschny mit einer Zeitreise in die Vollen einer geradezu brechtschen Zeit- und Gesellschaftskritik. Die beiden landen in einer Megacity vor Wolkenkratzerschluchten. Und bei einem Alberich im Manageranzug von heute. Mit dem Tablet als Tarnkappe in der Hand und einem versklavt assistierenden Mime (Fritz Steinbacher) im weißen Kittel. Die Nibelungen werkeln als Wissenschaftler an Waffen.

Der Schatz, den Wotan Alberich als Lösegeld abluchst, besteht aus über zwei Dutzend bedrohlich wirkenden, mannshohen Atomraketen. Dass die jeweils im Viererpack auf einer Euro-Palette hochgefahren werden, darf man als Nachdenk-Stichwort mit auf den Heimweg nehmen. Die Götter sind dazu beim Einzug in Walhall schon nicht mehr in der Lage. Da sind es nur noch einst mächtige, inzwischen senil vergreiste Herrschaften, die sich nur noch im Rollstuhl und mit Betreuerinnen (die Rheintöchter übernehmen das mit grimmiger Distanz) bewegen können und am Ende (wenn sie die altmodischen Hörtrichter mal nicht am Ohr haben) auch noch ihrem eigenen Untergang applaudieren.

 

Menschen in Rollstühlen in einer Reihe vor einem Banner mit Regenbogen und Schriftzug "Falsch und feit ist, was dort oben sich freut!

Die alten Götter werden in Dortmund zum Witz. Foto: Thomas M. Jauk

Witz aus DDR-Zeiten

Kann gut sein, dass Konwitschny für dieses Schlussbild einen Witz, der in ihren letzten Jahren in der DDR kursierte, im Ohr hatte. Da hieß es immer mit Blick auf die überalterte Führung der Staatspartei, dass ein Parteitag mit dem Hereintragen des Politbüros beginne, dann das Einschalten der Hörgeräte erfolge und schließlich das Kampflied „Wie sind die junge Garde“ angestimmt werde.

Zu den großen Optimisten gehört Konwitschny schon lange nicht mehr. Aber bei seinem analytischen Pessimismus darf man wenigstens auch lachen, nachdenken und sich an der Perfektion seines Menschentheaters erfreuen. Die Rheintöchter halten zum Schluss nicht nur ein Regenbogentransparent mit dem Zitat „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut!“ in die Höhe. Es regnet auch im Westentaschenformat auf die Zuschauer herab.

Spielfreude und Ruhe

Am Pult überhastete Gabriel Feltz nichts, legte Wert auf Transparenz, spielte mit dem Klimpern der Schmiede ebenso offensiv wie mit dem Einsatz der sichtbar postierten Harfen. Wer sich auf die szenische Detailfreude einließ, dürfte sie auch musikalisch beglaubigt gefunden haben.

Das spielfreudige Ensemble war durchweg auf der Höhe. Vom Urmenschen bis zum Manager der Rüstungsindustrie lieferte Joachim Goltz einen eloquenten Alberich. Souverän Matthias Wohlbrecht als wendiger Loge. Eindrucksvoll vor allem Denis Velev als verliebter Oben-ohne-Fasolt. Solide die Göttertruppe unter Führung von Wotan Tommi Hakala und Fricka Ursula Hesse von den Steinen. Ein paar Buhrufe gab es für die Regie, aber der Jubel über dieses „Rheingold“ und den jetzt absehbaren Ring überwog eindeutig.