Foto: Die Claras der "Mädchenmonstermusik" (Ensemble) © Stefan Hoyer
Text:Ute Grundmann, am 5. Mai 2019
Clara betritt, in konzertschwarzem Hemd und Hose, das Podium, macht eine Künstlerverbeugung und setzt sich an den Flügel. Es folgt noch eine Clara und noch eine und noch eine, bis sich fünf Claras (weiblich und männlich) auf die riesengroße Klavierbank quetschen. So beginnt im Leipziger Theater der Jungen Welt eine ungewöhnliche und rasante Hommage an Clara Schumann: „Mädchenmonstermusik“. Dem Wunderkind gilt die Aufmerksamkeit in dieser Uraufführung, dem hochbegabten Mädchen, dem sie drillenden Vater und dem Publikum, das sie bejubelt und zugleich quält.
Der Flügel steht im Mittelpunkt – auch des Bühnenbildes von Valentine Koppenhöfer. Drumherum ein silbriger, kreisförmiger Steg, der nach hinten ansteigt. Hinter dem Klavier steht kein hohes, sondern ein rotes „C“, das auch mal zur neugeborenen Clara wird, die 1819, vor 200 Jahren, in Leipzig zur Welt kam. Und natürlich hat, nach vielsprachigem Flüstern, die Musik den Vortritt – sirrende, klappernde, klimpernde Töne, in die die Komponisten Tom Smith und Moritz Eggert hohe Klavierklänge fließen lassen, gefolgt von bedrohlichem Donnern. Das wird man häufiger hören in diesem Lebensbilderbogen von der Geburt bis zur Hochzeit, denn es war keineswegs ein bloß fröhliches Virtuosinnen-Dasein.
Dafür finden Regisseurin Michaela Dicu und ihr großartiges Ensemble immer wieder (an-)sprechende Bilder. Da rennt Vater Friedrich Wieck, Clara in den Armen, immer im Kreis nach Leipzig, weg von der geschiedenen Mutter in Plauen. Dazu wieder das Donnern aus dem Off, harte, markante Klaviertöne, eine dumpfe Geisterstimme. In Leipzig angekommen, beginnt sofort der Drill des kleinen, schon mit „Pianistenpranken“ auf die Welt gekommenen Mädchens. Der Vater meint zwar, Männer seien feinmotoriger und empfänglicher für Kultur als Frauen. Aber der mangels Talent verhinderte Virtuose will aus Clara, wenn schon, denn schon, die Allerbeste machen und die antwortet brav: „Alles beginnt mit mir!“ Gegen diesen Riesen-Anspruch an das Geniemädchen hilft auch der väterliche Kosename „Schneeflocke“ nicht.
Auch das zeigt dieses „Theaterstück mit Musik“, in dem der Rollenwechsel der fünf Darsteller mit scheinbar einfachen Kostümmitteln (auch von Valentine Koppenhöfer) möglich wird. Hohe, weiße Kragen machen aus ihnen Väter, lange, schwingende Röcke Claras. Und gezwirbelte Stoffstreifen als Schweife machen drei von ihnen zu ächzenden Pferden, die die schwankende Kutsche auf dem Weg zum nächsten Konzert ziehen – und die dann auch noch Klavier spielen können. Und zum „Exercise“-Drill ziehen alle rote Fußballdresses an, Vater Wieck (Julia Sontag) gibt mit roter Trillerpfeife Ton und Takt vor.
Überhaupt die Musik: Natürlich Schumann-Klavierwerke, aber die verweben die Komponisten mit Pop und Death Metal, feinen Klavierklängen, aber auch dem „Lärm der großen Welt, der in Claras Kinderleben dröhnt“. Einmal aber zupft Clara (Lysann Schläfke) nur sachte an den hohen Saiten des Klaviers. Ein a capella-Kanon besingt die von ihr so geliebten Kirschen, Clara (Laura Hempel) beklagt in einem langen Song (von Tom Smith am Piano begleitet), dass Robert „mein dunkelster Schatten“ sei. In ihn hatte sie sich mit gerade mal neun Jahren verliebt, obwohl er (Philipp Zemmrich) sich beim ersten Treffen als komischer Stotterer gibt, dem Clara altklug antwortet.
Dieser Theaterabend für Zuschauer ab 15, zum Jubiläumsjahr „Clara19“, erfüllt in knapp zwei Stunden seinen Titel in jeder Weise: Mädchenhaft für fünf, Monster (Publikum, der Vater) und natürlich die Musik. Er endet mit einem kabarettreifen Solo von Julia Sontag, in dem sie erst mal erklärt, wer sie ist: Die auf dem 100-D-Mark-Schein (falls den keiner mehr kennt, das sind heute 50 Euro, sagt sie). Und dann hofft sie, dass man sie vielleicht als Vorbild ausgegraben hat. Schön wär’s, schön war’s.