Suche nach Gold und Rausch
Auf dem Amazonas sucht eine spanische Expedition unter dem Konquistador Don Gairre (Alexander Günther) nach dem legendären El Dorado. Die Mannschaft ist erschöpft und demoralisiert. Der kastilische Gesandte Don Stepano (Oleksandr Pushniak) wird entmachtet und der Missionar Don Miguel (André Matos Rabelo) zum König von Eldorado ernannt. Im Regenwald kommt es zu einem Terrorregime und der peinlichen Befragung einer als Hexe angeklagten Frau (Camila Ribero-Souza).
Die zweite Ebene zeigt die drohende gesellschaftliche Zersetzung in den USA der Gegenwart durch den in der Mitte der Gesellschaft angekommenen Missbrauch von Beruhigungsmitteln mit massiv erhöhten Sterbezahlen. In der dritten Ebene einer nahen Zukunft blickt ein Seher auf den globalen Niedergang und fragt mit seiner Gefährtin Echo (Emma Moore) danach, ob durch Partizipation, Mitdenken und persönliches Engagement etwas zum Bessern hätte gewendet werden können. Das war’s: „Ciao!“
Kunstfest Weimar über die Zukunft der Klimakrise
Der großartige Bariton Otto Katzameier kostet in der Partie des Sehers dieses Schlusswort mit einem saloppen Winken ins Auditorium genüsslich aus. Nicht nur das zeigt Köcks flapsige und natürlich human gedachte Haltung. Bei der Uraufführung 2022 von Jörn Arneckes und Falk Richters „Welcome to Paradise Lost“ im Rahmen des Kunstfests Weimar gab es in den Konflikten zwischen rebellierenden Jugendbewegungen und Establishment noch marginale Spuren von Hoffnung. Diese sind in „mising in cantu (eure paläste sind leer)“ gründlichst getilgt.
Sachlichkeit steckt in der grell aufgeheizten Szenenfolge, die oft lauter ist als Stauds Musik. In ihr steckt aber eine mit barocker Überfülle ausgebreitete Resignation. Mit schon lustvoller Aktionsfülle zeigt Andrea Moses Auswirkungen des Expansions- und Wachstumsstrebens im tödlich endendem Drogenkonsum und Ausgrenzungen. Am Ende gähnt also auch eine große Leere aus dem „Ciao!“ des weniger weisen als nachdenklichen Sehers. Garniert ist das Ganze mit slapstickhaft verkürzten und gepfeffert ausagierten Szenen. Mit sezierender, aber auch belustigender Objektivität greift Moses in den Zeichenvorrat bekannter Genres. Sie handhabt deren Sprengsel virtuos und legt bloß, wie abgelutscht sie sind.
Alle Krisen sind verbunden
Moses‘ Sozialstudien enden im Musiktheater immer ehrlich und deshalb selten positiv. Nun hat sie mit Köck und Staud eine „globale Lähmung“ diagnostiziert, die Hoffnung scheint also tot. Einigermaßen entschädigt für die miesen Zukunftsaussichten wird man durch das phänomenale Bühnenbild von Raimund Bauer. Der Palast des Sehers – das Eldorado? – ist ein Goldquader auf drehender Schräge, in dem tropische Pflanzen hinter Glas vor sich hindörren.
Köck bringt in seinem Text vieles auf den Punkt. Seine Sprache ist knapp, klar und pointenreich. Aber sie schneidet Musik auch ab, weil sie in sich selbst musikalisch gesättigt ist. Aus dem Publikum in Weimar sind sogar Lacher zu hören. Aber es war kein befreiendes Lachen, sondern ein fast an Zynismus grenzendes. Alles ist mit allem verbunden. Diesen Topos macht das Kunstfest Weimar, in dem Grenzen zwischen künstlerischer Oberhoheit und von der Thüringer Sozialtopographie zu globalen Krisenherden springenden Sachthemen immer durchlässiger werden, zum Kern seiner Handlungsagenda. Also auch das Axiom einer in kapitalistischen Zyklen vorgelebten Ökonomisierung von Prozessen und Aufwand. Das äußert sich bei „missing in cantu“ durch klare Texte und ziemlich wenig Musik.
Perfekt für das Weimarer Ensemble
Den Kern der Partitur bilden Zitat-Flächen und elektronische Emanationen. Erstaunlich die Leistung des SWR Experimentalstudio, dessen Klänge und Effekte, die akustisch durch den Zuschauerraum wandern, leisten. Kaum zu verstehen ist, dass Stauds musicalhaftes Soundesign ablehnt, wenn seine umfangreichen Chorszenen und Soundflächen wie perfektes Musical sind. Auch Staud greift, weil säkulare Gesellschaften dafür noch immer keine eigenen Klanglichkeiten entwickeln konnten, nach swingenden Kirchenchor-Idiome des späten 20. Jahrhunderts.
Insgesamt wird die neue Musiktheater-Produktion allen gegenwärtig gültigen Konventionen und Etiketten gerecht. Sie ist derart demokratisch, dass es keine richtigen Hauptpartien gibt. Sie ist ein musikalisches Volksdrama, weil Staud den Massen und namenlosen Leidenden mehr Raum, gibt als den Solisten.
Deren Partien sind dem durch die Bank superguten Weimarer Ensembles auf den Leib geschrieben. Einiges reguliert sich einfach durch die Gewichtung. Astrid Meyerfeldt gibt eine wehrhafte und durch Drogen realitätsferne Hausbesitzer:in. Sarah Mehnert gibt eine Bilderbuchreporterin alter Schule, Jörn Eichler ist eine starke Ensemble-Säule an mehreren Rollenschauplätzen. Andreas Wolf am Pult hat alles im Griff, die Staatskapelle Weimar wirkt durch mehreren Soli zwar stark beschäftigt, in der Fülle des elektronischen Wohllauts allerdings etwas unterrepräsentiert. Als ästhetisches Gebilde ist Stauds, Köcks und Moses‘ Musiktheater ein perfekter Spiegel des turbokapitalistischen Wachstumsdenkens: Noch mehr Aufwand, noch mehr Bedeutungsfülle und noch mehr Strampeln um Aufmerksamkeit für ein exklusives Nischenprodukt mit intellektuellem Fetischcharakter.