Foto: Musikalisch beeindruckend, aber kaum theatral: Luigi Nonos "Prometeo" bei der Ruhrtriennale 2015 © Wonge Bergmann
Text:Andreas Falentin, am 9. September 2015
„Tragedia dell‘ascolto“, Tragödie des Hörens, untertitelte Luigi Nono seine letzte große Vokalkomposition. Die aktuelle Triennale-Produktion des rätselhaften Werkes nimmt ihn beim Wort. Eva Veronica Born hat den gewaltigen Raum der Duisburger Kraftzentrale von innen eingerüstet. Auf elf unterschiedlich hoch angebrachten Podesten sind Sänger, Sprecher, Musiker und Dirigenten angeordnet. Auf aus Sperrholz zusammengezimmerten Kirchenbänken sitzt, mit unterschiedlichen Blickrichtungen, das Publikum und erlebt, wie der Klang es einkreist, wie er durch den Raum weht, mäandert, gelegentlich schießt, selten kulminiert, raffiniert gelenkt von André Richard, der das auch schon für Nono persönlich getan hat. Nur Klang. Kein Bild, keine Bewegung. Und Lichtwechsel, manchmal unmerklich, dann massiert. Die laden zur Assoziation ein. Wo befinde ich mich in der „Prometheus“ – Geschichte? Dieser Tutti-Schlag, steht er für den Zorn des betrogenen Zeus? Diese langgezogene, hysterische Streicherfigur, spiegelt sie Prometheus‘ Entsetzen über seinen Bruder wider, der sich von Pandora hat verführen lassen, ihre Büchse zu öffnen? Und dieses Überblasen, sind das die Flügelschläge des Adlers, der sich an der Leber des an den Kaukasus geschmiedeten Prometheus labt? Hinterhältig kitschige, stiftdünne orangefarbene Neonleuchten laden aufdringlich dazu ein, an den Sonnenwagen zu denken, von dem der Titelheld das Feuer stiehlt. Halt. Was macht eigentlich jetzt gerade ein Zuschauer – oder besser –hörer -, dem nicht Lehrer, Eltern und Bibliothekare diese Bildungskrumen aus der Sagenfibel in das noch weiche Hirnmark gedrückt haben? (Wofür ich übrigens allen Beteiligten noch heute großen Dank weiß.)
Auf der Eintrittskarte steht „Musiktheater“. Deshalb suchen alle nach Bildern. Viele lesen während der Vorstellung im Programmheft auf der Suche nach Hilfe und Aufklärung. Plötzlich erheben sich gleichzeitig an verschiedenen Stellen des Riesensaals Menschen und geben die rein musikalische Auseinandersetzung durch Flucht auf. Das regt die visuelle Phantasie an, genau wie das schamanisch anmutende Umblättern der XXL – Partiturseiten durch den Dirigenten Ingo Metzmacher. Wir gieren fast zwanghaft danach, die akustische Oberfläche mit einer imaginierten optischen zu verschränken. Ist sie das vielleicht, diese „Tragödie des Hörens“?
Musikalisch kann man das wahrscheinlich gar nicht besser machen. Das Ensemble Modern, die Schola Heidelberg, dazu mehrere Solisten und Sprecher musizieren intonationsrein und ungezwungen. Metzmacher und seine Co-Dirigentin Matilda Hofmann koordinieren nicht nur, sie gestalten den Klang und halten ihn in einer fast unheimlich ausgewogenen Balance. Die Einzigartigkeit des Komponisten Nono wird deutlich: insistierende, richtungslose, aufgefächerte Sanftheit als Medium eines existenziellen Aufbegehrens. Dieser Duisburger „Prometeo“ ist eine hyperkulturelle, sogar -kultivierte Zumutung und eine musikalische Verzauberung auf unfassbarem Niveau. Theater ist er nicht. „Ascolta“ ist eines der wenigen Worte, die zu verstehen sind. Hör‘ zu! Hör‘ einfach zu! Ein gutes, wichtiges Ziel. Wenn man das könnte! Obwohl „Musiktheater“ auf der Eintrittskarte steht…