„Die Möwe“ in Anton Tschechows gleichnamigem Stück ist zum einen tatsächlich ein Vogel (der wird im Flug abgeschossen und landet ausgestopft in der Vitrine), zum anderen eine junge Schauspielerin, die sich gerne frei fühlen würde wie eine Möwe, tatsächlich aber - wie dieselbe - von einem Mann zerstört wird, der zufällig vorbei kommt. Der lettische Regisseur Alvis Hermanis inszenierte das Stück jetzt im Cuvilliés-Theater.
Der Vorhang öffnet sich einen Spalt. Auf einem Stuhl sitzt René Dumont, schaut ins Publikum und hält sich eine Pistole an die Schläfe. Nach einer Weile rafft er sich auf, der Vorhang gibt den Blick frei in einen holzgetäfelten Raum ohne Fenster, dafür mit zwei Flügeltüren rechts und links. Dumont hinkt mit seiner Krücke nach hinten, legt sich quer auf drei Stühle. Eine Resignation. Ein Anfang, der hoffen lässt. Auf einen Tschechow-Abend, der die existentielle Langeweile und die Unfähigkeit dieser Menschen, sich aus ihrer Lethargie und ihrem Unglück zu befreien, herausarbeitet. Von einem Regisseur, der aus seiner Vorliebe für konservatives Schauspielertheater keinen Hehl macht, genau damit aber schon manches Mal zum Kern des Menschen vorgestoßen ist wie zum Beispiel in „Späte Nachbarn“ von I.B. Singer an den Münchner Kammerspielen. Man sah hier zwei alten Menschen in ihrem Alltag zu, der ein einsamer und unspektakulärer war. Warf einen Blick in das Leben Fremder, die im Laufe des Abends zu Vertrauten wurden.