Foto: Ensembleszene © Judith Buss
Text:Roland H. Dippel, am 5. Juni 2024
Das Happening „Wie geht’s, wie steht’s“ bei der Münchener Biennale für neues Musiktheater will vor allem die Zufriedenheit des Publikums, also des „Kollektivkörpers” erreichen. Andreas Eduardo Frank und Patrick Frank kombinieren dafür musikalische Untermalung, Spiele, Bücher und gemeinsames Essen fürs Gemeinschaftsglück.
Unter dem Motto „On the Way“ haben Daniel Ott und Manos Tsangaris bei der letzten von ihnen kuratierten Münchener Biennale für neues Musiktheater ein hohes Level der Detheatralisierung erreicht. In „Wie geht’s, wie steht’s“, einer Koproduktion mit dem Theater Basel, ist die Abnabelung von der herkömmlichen Trennung zwischen von Musik befreitem Musiktheater und Publikum definitiv vollzogen. Tatsächlich wird das Publikum im seit Sanierungsbeginn Fat Cat genannten Kulturzentrum zum Hauptakteur: Als für vier Stunden zusammengeschweißter „Kollektivkörper“.
Veranstaltungsmodell mit Zukunft
Im Vergleich zu manch anderen Vergnügungen nimmt sich das „Happening in drei Teilen“ mit einem Normaleintrittspreis von 25 Euro spottbillig aus. In „Wie geht’s, wie steht’s“ wird in fast jeder Hinsicht viel geboten. Die hinter dem Großprojekt steckenden Kreativköpfe verstehen sich beide nicht „nur“ als Komponierende. Patrick Frank ist Kulturtheoretiker, Andreas Eduardo Frank Kurator. Ihre angekündigte Glückssuche entwickelte sich deshalb von der angekündigten Studie zu einem praxisbezogenen Event. Dieses ermöglicht für vier Stunden – oder in drei separat besuchbaren Einheiten à 80 Minuten – viel temporäres Wohlsein. Gemessen am Zulauf des ideal durchmischten Publikums zur ausverkauften Uraufführung hat dieses Veranstaltungsmodell eine große Zukunft.
Das Ziel: Zufriedenheit des Kollektivkörpers
Ein Performer im Kuschelbär-Ganzkörperkunstfell lümmelt an der Kasse und darf vom Kollektivkörper jederzeit geknuddelt werden. Als Kollektivkörper durchlaufen die Anwesenden die drei Happening-Teile „Herz“, „Gehirn“ und „Magen“. Diese Titel sind Aufhänger, denn man kann sich frei bewegen und bekommt deshalb nicht alle Performance-Splitter mit. Für gemeinschaftsstiftende Maßnahmen wurden viele Voraussetzungen geschaffen. Auf den Tischen liegen Spiele wie Mikado und Mensch-ärgere-dich-nicht. Man kann in Büchern über Anleitungen zum Glücklichsein schmökern. Liegesäcke und Matratzen laden zum Verweilen und fast alle Mitwirkenden – die Performer Angela Braun, Emily Dilewski, Kyu Choi, Lukas Tauber, Manfred Wildgruber sowie der via-nova-chor, München – gehören zum Serviceteam. Ihr Ziel ist die höchste Zufriedenheit des Kollektivkörpers.
Musik gibt es immer wieder mal. Daniel Moreira leitet das (Kammer-)Ensemble Lemniscate. Die kreative Herkunft der Stücke scheint nicht so wichtig. Es sind – mal instrumental, mal vokal, mal beides mit Solist:innen auf Raumwanderschaft – melodische Strophen und Fragmente, fast mit Ohrwurmqualität. Immer wieder jagen leichte Dissonanzen hinein, schaffen eine grelle und trotzdem wohlige Überformung des Nur-Gemütlichen. Camille Daur für die „Bühne“, Wieland Lemke für die Kostüme haben undankbare, da kaum sichtbare Aufgaben. Schauspielcoach Gregor Schleuning verrichtete gewiss eine Heidenarbeit, die man kaum merkt.
Religiöses, Ohrwürmer, dazu Brot und Käse
Conferencier und Perfomer-Star Malte Scholz gibt einen Wurm im fleischfarbenen Latexoverall und schlaffem Spitzhütchen. Ganz nebenbei fräsen sich neben dem Empathie-Ramsch mit Lakritzen und Animationsspielchen religiöse Komponenten ins Spiel. Am Ende des „Gehirn“-Teils stellt man eine lange Tafel mit Holztischen und Bierbänken auf. Kräftige Gemüsesuppe, reichlich Käse und Brot sind im Eintrittspreis inbegriffen. Da kommen die Gäste tatsächlich ins Gespräch miteinander, obwohl Georg Schütky hier endlich einmal Personenregie machen konnte. Deren Thema: Das erste Date des Wurms mit der Nonne. Die nach 150 Minuten reichlich mit Harmonie gepuderten Gäste kommen bei so viel, auch aus Bezügen zur reichen Kirchenlandschaft Basels und des Kantons Basel, gespeister Inhaltsfülle, nicht mit. Die feinen Spitzen gegen das eigene Event bleiben im atmosphärischen Wohlfühlnebel verborgen.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist „Wie geht’s, wie steht’s“ im Münchner Kulturzentrum atmosphärisch besser platziert als zur Serie im Theater Basel, dessen Foyer tatsächlich ein urbanes Herzstück darstellt. Die Ziegelsäulen des Ex-Gasteig, die vom Dauerregen verdreckten Glasflächen und das ausgedehnte Foyer machen einen müden, überlebten Eindruck. Der „Kollektivkörper“ mit seinen fast naiven Mitspielenden tut dem Blickfänger an der östlichen Isarhöhe gut. Indirekt gibt sich „Wie geht’s, wie steht’s“ auch als Manifest gegen Reizüberflutung und überzogene Erwartungen. Verlässt man in diesen mit Miniaktionen gepflasterten vier Stunden für 30 Minuten die Location, hat man nichts Wesentliches verpasst. Der Schluss wurde angesagt, sondern hätte man ihn gar nicht bemerkt. Riesenjubel.