Foto: Brett Deans "Hamlet"-Oper an der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Text:Joachim Lange, am 27. Juni 2023
An der Bayerischen Staatsoper München feierte Brett Deans „Hamlet“-Oper Premiere, bei der vor allem der entfesselte Orchesterkang überzeugte.
In München endet eine Spielzeit der Bayerischen Staatsoper nicht einfach so. Hier zelebriert man einen Monat lang mit Opernfestspielen und versteht sich damit als eigentliche Opernhauptstadt. Nicht nur Bayerns, sondern der ganzen Republik. Preußisch würde man sagen: in München ist in dieser Beziehung immer noch jede Menge Lametta! Diesmal weht auf dem Nationaltheater sogar die Regenbogenfahne und auch die Säulen an der Fassade des Nationaltheaters sind noch CSD-bunt verpackt.
Der rote Festspielpremierenteppich ist (zumindest semimutig) für die „Hamlet“-Oper von Brett Dean ausgerollt, die vor sechs Jahren beim Festival in Glyndebourne uraufgeführt wurde. Im Prinzregententheater verpasst gerade Claus Guth seiner Semele-Inszenierung, die am 15. Juli Premiere hat, den letzten Schliff. Ansonsten gibt es bis Ende Juli jeden Abend Oper. Was per se eine Premiumleistung ist, auch, wenn man von „Aida“ über „Cosi fan tutte “und „Don Carlos“ bis „Tristan und Isolde“, „Salome“ oder „Krieg und Frieden“ über ein Repertoire verfügt, das man dann nur noch mit Spitzensängern versehen muss, um so einen Großteil der Jahreseinnahmen zu erzielen. …
Sinnlich übervoller Klang, schmerzfreie Opulenz
Zur Eröffnung keine eigene Neuproduktion zu präsentieren, verwundert aber schon. Andererseits ist das englische Festival weit genug weg. Das Risiko mit dieser immer noch relativ neuen Hamlet-Oper nicht anzukommen, war allerdings schon deshalb gering, weil der Münchner GMD Vladimir Jurowski auch ihre Uraufführung dirigiert hat und ganz offenkundig seine Begeisterung für die Musik auf das Bayerische Staatsorchester zu übertragen vermochte. Wenn man so liest, was alles unter das deftige, gut gewürzte Klangmenü gemischt ist, dann überrascht der sinnlich übervolle, stets auf Rhythmus und Effekt bedachte Klang. Am Ende ist alles gut abgeschmeckt und bekömmlich – vielleicht etwas zu lang, ein Zweistünder ohne Pause ist aber nicht so festspielkompatibel wie diese Wenn-schon-denn-schon gut Dreieinhalbstunden mit Pause.
Librettist Matthew Jocelyn hat die Shakespeare-Vorlage zwar auf Opernmaß verdichtet, gut dosiert, leichte Irritationen eingebaut, aber zu einer Version eingedampft, die einen werknäheren „Hamlet“ bietet, als man heutzutage im (zeitgeistsüchtigen) Schauspiel noch geboten bekommt. Wer den Bühnen-Klassiker wiedererkennen und sich (u.a. auch) an einem Cocktail der bekanntesten Zitate erfreuen will, der kommt hier voll auf seine Kosten. Die Schauspieltruppe, mit der Hamlet den Thronräuber Claudius zur Selbstentlarvung provozieren will, spielt ziemlich vergnüglich damit. („Sein oder nicht sein„; „O schmölze doch„; „Es ist was faul im Staate…„; Auch Gertrudes „Mehr Inhalt weniger Kunst„; … alle kommen vor). Das „…or not to be“ wird zu einer Art Leitmotiv, und „the rest is silence“ beschließt ganz und gar erwartungsgemäß das finale Gemetzel.
Auch wenn einiges Theaterblut bei den Akteuren fließt, so spielt die Inszenierung von Neil Armfield in der Ausstattung von Ralph Myers (Bühne) und Alice Babidge (Kostüme) ihr Publikum mit schmerzfreier Opulenz an. Irritierend doppelbödig ist da gar nichts. Wenn man die sich absenkende Saaldecke mit Graböffnung nicht mitrechnet, aus der hier Yorckis berühmter Schädel ans Licht befördert wird.
Bewegliche Wände, inklusive Decke sind zunächst der Saal für eine üppige königliche Hochzeitstafel mit angemessen, fein kostümierten Gästen. Der Raum kann sich bei Bedarf auflösen und den Ort für Geisterauftritt-, Schauspieler- oder Totengräberszene bieten. Bei denen glänzt Altstar John Tomlinson mit würdiger Präsenz und (überraschend gut anspringender) Stimme. Das aktuelle Königspaar an diesem dänischen Hof ist mit Rod Gilfry als Claudius und Sophie Koch als Gertrude glaubwürdig royal besetzt. Mit den Countertenören Patrick Terry und Christopher Lowrey sind Rosencrantz und Guildenstern meist als im Duo singendes, schräges Paar eingefügt. Jacques Imbarilo ist ein emphatischer Horatio an Hamlets Seite und Charles Workman bis zu seinem (irrtümlich) von Hamlet verursachten Tod im Kleiderschrank ein eloquent geschwätziger Polonius. Dessen Tochter Ophelia hat Dean mit einer Wahnsinnsszene ausgestattet, aus der Caroline Wettergreen ein Kabinettstück an gespieltem Wahnsinn zu vokaler Hochseilartistik macht. Für deren Bruder Laertes bietet Sean Panikkar (bei dem das weiß geschminkte Gesicht als Theatermittel heute durchaus einen Hauch von Ironie anzumerken meint) die vokale und darstellerische Eleganz, gegen die Hamlet beim beachtlich choreografierten Fechtkampf geradezu grob wirkt. Allan Clayton beherrscht seine Rolle und stellt sie in jeder Hinsicht mit kraftvollem Nachdruck jedem Klischee des zweifelnden Dänenprinzen entgegen.
Beachtliche Kunstanstrengung
Am Ende bleibt vor allem der Eindruck eines entfesselten Orchesterklangs, der sich bis ins Alarmistische steigern kann, aber doch aufs Wort pariert und mitunter das deklarierte Schweigen imitiert. Die absehbare Katastrophe liegt jedenfalls vibrierend in der Luft. Jurowski vermag imponierend damit zu spielen, auch wenn mal ein Teil des Chores in den Rängen verteilt ist. Den mitunter witzig kommentierenden, aber auch machtvoll entfesselten Staatsopernchor hat der Kölner Chordirektor Rustam Samedov (in Köln stand Hamlet 2019 auf dem Programm) bestens einstudiert.
Geschlossenen Beifall gab es in München für eine beachtliche Kunstanstrengung aus der Abteilung Shakespeare als Opernvorlage. Neu sortiert werden muss die allerdings nicht. Die Beiträge von Giuseppe Verdi, aber auch der von Aribert Reimann bleiben auf ihren vorderen Plätzen.