Foto: Philipp Moschitz, René Dumont, Stephanie Marin in "Slippery Slope" © Metropoltheater München/Marie-Laure Briane
Text:Anne Fritsch, am 7. Juli 2023
Philipp Moschitz inszeniert „Slippery Slope – Almost a Musical“ von Yael Ronen und Shlomi Shaban mit viel Verve und Humor am Münchner Metropoltheater. Und macht aus dem dichten Spiel um Shitstorms nonchalant auch einen augenzwinkernden Kommentar zur Absetzung von Wajdi Mouawads „Vögel“.
„Slippery Slope“ heißt das Beinahe-Musical von Yael Ronen und Shlomi Shaban – und es begibt sich dahin, wo sich andere gerne vorsichtig abwenden: ins Herz der Debattenkultur. Zwischen Machtmissbrauch und #MeToo, Cancel Culture und kultureller Aneignung, Sexismus und Feminismus surfen sie auf allen „rutschigen Hängen“ gleichzeitig, verknüpfen all die Einzelgeschichten zu einem irrsinnigen Ganzen, in dem jede:r früher oder später ins Auge eines Shitstorms gerät. „Geschichten sind wie schwule Charaktere in High-School-Musicals“, erklärt Krisenmanager Kahn einmal. „Am Ende haben sie immer ihr Coming Out.“ Regel Nummer 1 im Zeitalter von Social Media: Alles wird früher oder später zur Story. Was wahr ist oder war, ist dabei weniger wichtiger als: was wahr wirkt und Klicks generiert. Ronen und Shaban springen in „Slippery Slope – Almost a Musical“ frisch und frei von einem Fettnäpfchen ins nächste.
Verkleidungen für ein besseres Ich
2021 inszenierte Yael Ronen die Uraufführung am Berliner Maxim-Gorki-Theater, nun hat sich Philipp Moschitz das Stück am Münchner Metropoltheater vorgenommen. Der schauspielende Regisseur oder regieführende Schauspieler Philipp Moschitz, der dem Theater seit Studienzeiten eng verbunden ist, wirft sich und sein musikalisch wie spielerisch starkes Ensemble mit Verve in diesen Text. Bühnenbildner Thomas Flach hat eine Landschaft aus Bildern von Bildern von Bildern entworfen: sich nach hinten verjüngende bunte Bilderrahmen vor einem glitzernden Hintergrund. Ein Irrgarten der Vervielfältigung und Verfälschung, aus Filtern und Fake, in dem das Original – oder: die Wahrheit – schwerlich auszumachen ist. Cornelia Petz hat Kostüme entworfen, die genau das sind: Kostüme in einer Welt der Selbstoptimierung, Verkleidungen für ein besseres Ich. Die Songs lässt Moschitz auf Englisch singen, die Texte laufen wie gehässige Social-Media-Kommentare über den Bildschirm im Hintergrund.
René Dumont spielt Gustav Gundesson, den „berühmten schwedischen Singer Songwriter“, der sich immer tiefer verstrickt in alle erdenklichen Skandale von #MeToo bis kulturelle Aneignung. Von seinen einst erfolgreichen Liedern hält kaum eines einer woken Überprüfung stand. Weder die von seinem Beduinen- noch die von seinem Lappland-Album. Und: „Es wurde mir verboten, hier irgendwas von meinem Klezmer Album zu spielen.“ Dieser Gustav nun, der sich selbst bedauert, weil er nur noch schwedische Mitsommer- und ABBA-Songs singen dürfe, ist ein Egozentriker par excellence. Er selbst sieht sich als „Wohltäter“, keineswegs als „Täter“. Dass ihm auch noch seine Liebesbeziehung zur jungen Sängerin Sky auf die Füße fällt, ist ihm unerklärlich.
Ein Chor der Vorwürfe
Sieht sich zunächst Gustav mit einem Chor der Vorwürfe konfrontiert, so erwischt es früher oder später jede:n in diesem sich schnell drehenden Karussell der Shitstorms. „Everything I touch turns into shit“, wird zum Refrain des Abends. Da ist Sky (Stephanie Marin), die eine beachtliche Verwandlung hinlegt von der mädchenhaften Hippie-Sängerin, in die Gustav sich verliebt, zum gefeierten TikTok-Star; Gustavs Frau Klara (Judith Toth), die erfolgreiche Chefredakteurin, deren perfekte Oberfläche im Laufe des Abends brüchiger wird und das nicht nur ob der Affäre ihres Mannes; und die Enthüllungs-Journalistin Stanka Sto (Ina Meling), die zu einem fulminanten feministischen Empowerment-Song ansetzt („Partriarchy is a dangerous bitch!“), in ihrem Ehrgeiz aber auch übers moralische Ziel hinausschießt. Moschitz selbst springt von Rolle zu Rolle, spielt von Gustavs Agentin über die Pornodarstellerin bis zum Krisenberater alle Nebenfiguren. Am Ende streckt er den Aschenbecher, der zum Inbegriff der Fehltritte und Fallstricke geworden ist, dem Publikum hin. Ein augenzwinkerndes „Auch du, mein Freund“.
Wie geht man nun damit um, wenn der Skandal da und die Kacke am Dampfen ist? Klassische Entschuldigung? Passive Aggression? Oder „nichts“? Also abwarten, bis der nächste Skandal die Aufmerksamkeit auf sich zieht? Das Metropoltheater selbst geriet vergangenes Jahr ins Auge des Sturms, als jüdische Student:innen Antisemitismus-Vorwürfe gegen Jochen Schölchs Inszenierung von Wajdi Mouawads „Vögel“ erhoben. Es gibt also noch eine vierte Möglichkeit: ein Stück wie dieses auf den Spielplan setzen und erhobenen Hauptes weitermachen.