Foto: Das „Mia“-Ensemble © Matthias Horn
Text:Anne Fritsch, am 20. September 2024
Der chilenische Regisseur Marco Layera inszeniert an den Münchner Kammerspielen „Mia san Mia – Eine bayerische Space Odyssey“. Leider bleiben er und sein Co-Autor Martín Valdés-Stauber an Lederhosen- und Bierklischees hängen und gewinnen dem Bayern-Bashing in der Weite des Weltalls wenig Neues ab.
Ob’s am vielen Bier liegt, am hohen Fleischkonsum oder all den ungesunden Bräuchen? Man weiß es nicht. Fest steht: diese bayerische Gesellschaft ist am Ende, und zwar nicht nur am Ende der Galaxie. Irgendwann sind die letzten Überlebenden der Spezies Bayern auf einen Wanderplaneten emigriert, um ihre merkwürdigen Traditionen auf unwirtlichem Terrain weiterzuführen und zu verteidigen. Da das Bayerntum global und anscheinend auch intergalaktisch beliebt ist, kommen trotz weiter Anreise allerlei Tourist:innen vorbei, um ein bisschen bayerische Luft und Lebensart zu atmen. Und um bayerisches Bier zu trinken, na klar.
Wovon hier die Rede ist? Der chilenische Regisseur Marco Layera hat an den Münchner Kammerspielen einen Abend über Bayern inszeniert und schafft in „Mia san Mia“ gemeinsam mit Co-Autor Martín Valdés-Stauber ein dystopisches Bild einer untergehenden Zivilisation.
Äußerlicher Blick von draußen
Warum das Theater einen Südamerikaner damit betraut, bayerische Gepflogenheiten auf’s Korn zu nehmen? Es geht wohl um den Blick von außen auf’s Bekannte. Dabei wird in Kauf genommen, dass dieser Blick von außen eben einer von außen ist, sprich: Was Layera da auf die Bühne bringt über die Bayern, ist nichts Neues. Ein merkwürdig verschrobener Volksstamm, der sich auszeichnet durch Inzest, Rausch, Bierdurst, Verteidigung des Eigenen gegen das Fremde, wenn nötig auch mit Gewalt – all das sind wohl die Grundzutaten eines bayerischen Klischeebildes par excellence.
Layera überzeichnet all das optisch und verlagert es auf einen fremden Planeten. Allein, überraschender oder gar erhellender wird es dadurch nicht. Das Bayern-Ensemble, bestehend aus Bernardo Arias Porras, Walter Hess, Elias Krischke und Wiebke Puls, muss merkwürdige galaktische Steine oder Filzbrocken über die Bühne schleppen wie einst Obelix seine Hinkelsteine. Alle leiden unter Haarausfall und einer gräulich-fahlen Haut, die ihnen das Aussehen von Zombies verleiht.
Illustre Klischee-Gesellschaft
Eine inzestuöse Gemeinschaft, in der wenig gesprochen und viel gezürnt wird. Jana Findeklee und Joki Tewes haben sie in eidottergelbe Trachtengewänder gesteckt, die im fahlgelben Licht den Eindruck bestärken, dass so ein bajuwarisches Leben nicht gesund sein kann. Alle sehen aus wie ausgespieen. Über eine Strickleiter seilen sich zwei spanischsprechende Tourist:innen ab, gespielt von Carolina de la Maza und Pedro Muñoz. Sie will ihre bayerischen Vorfahren ehren und die Asche ihrer toten Mutter verstreuen. Er will eigentlich überhaupt nicht hier sein, hat ungute Vorahnungen, die sich natürlich bewahrheiten werden.
Unter diese illustre Gesellschaft mischt sich noch ein Forscher, der Beweise sammelt, dass es auf diesem „gottverlassenen Wanderplaneten“ unter Maibaum und Biertischen nicht mit rechten Dingen zugeht, dass diese Siedlung geräumt werden müsse. Frankgiskos Kakoulakis beobachtet und spricht seine Beobachtungen in sein Aufnahmegerät. Er ist der einzige, der hier klar zu sehen scheint – bis er selbst in die gefährlichen Mechanismen verwickelt wird.
Vor einem Jahr war eine andere Produktion von Marco Layera zu Gast an den Kammerspielen: „La posibilidad de la ternura/Die Möglichkeit von Zärtlichkeit“, eine Koproduktion mit der Ruhrtriennale, dem Centro Cultural Gabriele Mistral und den Münchner Kammerspielen, war eine bewegende Auseinandersetzung mit dem Aufwachsen als Mann in Chile, mit Männerbildern, gegen die es sich aufzulehnen lohnt. Emotional, bewegend und voller Aufbruchsstimmung.
In „Mia san Mia“ sucht man all das vergeblich. Da ist nichts Persönliches, nichts Emotionales und schon gar nichts Politisches. Es ist genug faul im Lande Bayern, das einen Theaterabend füllen könnte. Nichts davon wird hier verhandelt. Über oberflächliches Bayern-Bashing geht dieser Abend nicht hinaus. Ein Klischee wird nicht weniger Klischee, wenn man es auf einen anderen Planeten verfrachtet. Layera sagt, viel vom bayerischen „Identitätsnarrativ, das uns zum Stolz aufstacheln soll und uns nicht sehen lässt, wer wir wirklich sind“, käme ihm bekannt vor aus seinem Land. Vielleicht hätte man ihn von diesem erzählen lassen sollen. Möglicherweise hätten die Bayern die Parallelen dann selbst entdeckt.