Foto: Die Slammer Andy Strauß und Sebastian23 führen in „Die Zauberflöte“ ein. © Hamburgische Staatsoper
Text:Konstanze Führlbeck, am 19. Dezember 2020
Mozart und Videoclipästhetik – passt das zusammen? Ja, und wie, das zeigt ein neues Online-Format der Staatsoper Hamburg. Zwei Slammer, Sebastian23 und Andy Strauß, tauschen da ihre Gedanken über die Story aus, die Wolfgang Amadeus Mozart in seiner „Zauberflöte“ mit den Texten von Emanuel Schikaneder vor inzwischen über 200 Jahren erzählt hat. Scharfzüngig, zuweilen etwas schnöselig, informieren sie kurzweilig und kleinteilig über die Handlung, kommentieren sie witzig und schlagfertig in ihren Slamtexten, ohne Scheu vor dem hehren Klassiker. Und bringen so die Charaktere uns Heutigen nahe, vor allem Jugendlichen. Denn so weit sind der Märchenprinz Tamino und seine Prinzessin Pamina, ihre Gefühle und Gedanken, Sorgen und Probleme gar nicht von uns entfernt.
Das Setting ist eine Probebühne mit Kammerorchester, die Sicherheitsabstände zwischen den Musikern entsprechen den Corona-Auflagen. Im lässigen Freizeitlook mit bequemer Hose und Sweatshirt mit Namensaufdruck proben hier die Sänger ihre Arien. Eine gute Gelegenheit für die beiden Slammer, sich über sie auszutauschen und ihnen dabei aber auch die Gelegenheit zu geben, sich vorzustellen. So überlagern und durchdringen sich zwanglos mehrere Realitätsebenen, die einzelnen Clips in der Youtube-Playlist werfen Schlaglichter auf die Charaktere, die Slamtexte der beiden Straßenpoeten eröffnen eine neue Metaebene.
Das Konzept der Jungen Staatsoper, hier: der Theaterpädagoginnen Eva Binkle und Anna Kausche, setzt dabei bewusst nicht auf eine chronologische Nacherzählung und Präsentation der Oper, sondern greift Ausschnitte heraus und kommt damit den Medienkonsumgewohnheiten eines jungen Publikums entgegen, das alles erst mal anteasert. Spotlights, darum geht es in diesem Opernslam mit seiner Youtube-Playlist, die seit Freitagabend auf der Internetseite der Staatsoper Hamburg zu sehen ist. Man kann sich durch diese Clips clicken, so wie man die Seiten eines Comicstrips umblättert, nach Lust und Laune, ohne stringente Chronologie.
Und wie in einem Comicstrip, der laufen gelernt hat, lernen wir die Helden der Oper kennen – eine Dramaturgie, die Popkultur und Internetästhetik aufgreift und mit den Anfängen des Films, als die Bilder laufen lernten, in einem Baukastenprinzip verbindet.
Da ist der junge Prinz Tamino (Collin André Schöning), „Typ schnöseliger Eppendorfer Junggeselle“, wie Sebastian23 lakonisch feststellt, der mit tenoralem Schmelz von seiner Pamina schwärmt, in die er sich auf den ersten Blick (auf ihr Foto, nicht auf sie, wohlgemerkt) verliebt hat. Das kommt einem gar nicht mehr so weltfremd vor in Zeiten von Tinder und Co. Dabei verzichtet der junge lyrische Tenor auf jegliches Vibrato oder Opernpathos; sehr intim, wie ein Selbstgespräch wirkt seine flexibel gestaltete Arie mit ihren hellen Farben zu der subtil-kammermusikalischen Begleitung unter dem Dirigat von Volker Krafft.
Interessant ist auch die Beschreibung von Monostatos. „Sein Job bringt es mit sich, dass er Gewalt anwendet; gleichzeitig sehnt er sich nach Liebe. Er ist eine Person of Colour und er ist unzufrieden mit seinem Leben.“ Willkommen im Hier und Jetzt. Denn die beiden Slampoeten stellen in ihren intellektuellen, in Versform geführten Diskursen fest, dass Mozart durch die Thematisierung einer strukturellen Benachteiligung von People of Colour durch gesellschaftliche Schönheitsideale seiner Zeit weit voraus war. Und sie installieren durch ihre Art der kommentierenden Präsentation Theaterformen, die an William Shakespeare oder Bertolt Brecht erinnern, gleichzeitig aber auch die Funktion des Chores in der antiken griechischen Tragödie aufgreifen.
Pamina (Elbenita Kajtazi) mit ihrem schönen klaren Sopran und der muntere Papageno (Nicholas Mogg) kommen auch noch zu Wort, ebenso der weise Sarastro, dessen jugendlicher Interpret (David Minseok Kang) etwas altklug und nerdig wirkt. Und natürlich darf in diesem Figurenpanorama die dämonisch-abgedrehte Königin der Nacht (Marie-Dominique Ryckmanns) nicht fehlen, deren Koloraturen Andy Strauß mitträllert und – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – damit auch ein bisschen karikiert. Jedenfalls macht jeder dieser witzigen Clips aus dem Mozart (nicht Marvel!) Universe Lust auf mehr – vielleicht sogar auf die ganze Oper?
Der OpernSlam ist via Youtube abrufbar.