Foto: "Der Rosenkavalier" am Theater Ulm © Jochen Klenk
Text:Eckehard Uhlig, am 24. Januar 2014
Richard Strauss‘ „Rosenkavalier“ ist nicht nur „eine Farce und weiter nichts“, wie die Protagonisten der Opern-Handlung verharmlosend singen. Vielmehr handelt es sich um eine in vierstündige Aufführungszeit ausgreifende Musik-Komödie, wobei schon Hugo von Hofmannsthals Libretto mit mancherlei Genres flirtet, deren Vielgestaltigkeit in der Ulmer Neu-Inszenierung von Matthias Kaiser eine besondere Ausprägung erreicht.
Die zelebrierte Liebesszene zwischen Feldmarschallin und ihrem Lustknaben Oktavian sowie der lärmende Auftritt des Baron Ochs im ersten Akt spielt auf der Ulmer Bühne in einem pompösen Schlafsalon mit überdimensioniertem Liebesnest, das im Halbrund von Wandelementen (darunter ein von Regen-Schlieren getrübtes Fenster, eine mächtige Saaltüre und ein Wandspiegel) eingerahmt wird. Der innenarchitektonische Stilmix und die prächtige (Marschallin) oder schlüpfrig-vulgäre (Octavian) Nachtwäsche der Liebenden reicht von Barock bis Empire (Ausstattung Detlev Beaujean und Angela C.Schuett). Das mag den großen Zeiten Österreichs unter Maria Theresia oder Franz Joseph und dem intendierten Handlungsort Wien geschuldet sein.
Im 2. Akt, in dem Brautwerber-Kavalier Octavian im Auftrag von Ochs dessen avisierter Braut Sophie – einem von Hofmannsthal erfundenen „Brauch“ gemäß – die silberne Rose überreicht und im Hause des Möchtegern-Schwiegervaters ein Ehekontrakt aufgesetzt wird, präsentiert das Bühnenbild allerdings eine verkehrte Welt: Nicht das Rokoko-Palais des Parvenü Faninal, sondern eine mit schwerem, schwarzgrauem Marmor ausgekleidete Kuppelhalle, die an einen assyrischen Kultbau erinnert. Hier soll der Liebes-Sehnsuchtsfunke zwischen Octavian und der (wegen des Kontrasts zitronengelb gekleideten) Sophie, die den grobschlächtigen Bauernjunker Ochs verab-scheut, mit all seinem musikalisch flunkernden Zauber überspringen?
Den Höhepunkt der bescheiden ausgefallenen Regietheatervolten bietet der 3. Akt: Statt eines schummrigen Separée, in dem Ochs mit der vermeintlichen Kammerzofe „Mariandel“ (dem verkleideten Octavian) anbandelt und als Schwerenöter bloßgestellt wird, erlebt man eine Heurigen-Beisel, in der in den 1. Weltkrieg aufbrechende Soldaten der K.-und K-Armee, die alle wie Ableger von Haseks Svejk aussehen und agieren, sowie braune Nazi-Lazarettkrankenschwestern und die vorgeblich von Ochs gezeugte Kinderschar als graublau uniformierte BDM-Mädels für Turbulenzen sorgen. Auf die Pappwände sind Siegesparolen gegen Serbien gekritzelt, die im Gespenster-Spuk von Gewehren mit aufgepflanztem Bajonett bedrohlich durchstochen werden. Heuer wird eben nicht nur der 150. Geburtstag des Opernkomponisten gefeiert, sondern auch des Ausbruchs dieser Kriegs-Weltkatastrophe vor 100 Jahren gedacht, in dessen Vorfeld die „Rosenkavalier“-Uraufführung stattfand. Da legt man – in Ulm auf der Opernbühne – kitschselige Verliebtheiten und resignierenden Liebesverzicht gleich mit in rauchende Trümmer.
Die Glanzpunkte der Aufführung ereignen sich auf musikalischer Ebene und im tatsächlich bezaubernden Spiel der Akteure. Als Marschallin hat Sopranistin Oxana Arkaeva ihre Stärken in anrührend leisen, nachdenklichen Passagen, die stimmungsvolle Melancholie erzeugen. Den Baron Ochs gibt (als Gast) Bassist Christian Tschelebiew – ein untypisch schlaksiger, mit wild rotem Haarschopf und Trachtenlook ausstaffierter Almhütten-Junkie, der sängerisch den Part respektabel bewältigt – allerdings mit seinem bemühten Dialekt-Gebrabbel eher schräg als buffonesk-komisch wirkt. Maria Rosendorfsky ist eine liebreizende Jungfer Sophie, deren Sopran-Höhen glockenhell aufleuchten. Joung-Woon Lee, der im ersten Akt zur Erbauung auftretende Belcanto-Tenor, hätte für sein Lied („Di rigori armato“) Szenenapplaus verdient gehabt, was allerdings in der Premiere ausbleibt. Unbestrittener und bejubelter Star des Abends ist I Chiao Shih in der Hosenrolle des Octavian: von klangschön-farbkräftigem Timbre ihr glanzvoller Mezzosopran, herrlich komödiantisch (die gewissermaßen in doppelter Verkleidung) ausgespielten Liebeshändel mit Ochs in der Wirtshaus-Szene. Auch in den Nebenrollen zeigt das Ulmer Ensemble Niveau.
Die zwischen aufgeregten Dissonanzen, melodiöser Walzer-Seligkeit und zarter Poesie ironisch changierende Strauss-Musik ist beim Philharmonischen Orchester der Stadt Ulm gut aufgehoben. Generalmusikdirektor Timo Handschuh gestaltet zusammen mit seinem Ensemble vor allem die Übergänge vom oft monströsen Dialog-Parlando der Sänger zu den aufblühenden ariosen Linien mit faszinierender Empathie. Den moussierenden Instrumentalglanz bei der Rosen-Übergabe hört man selten so fein ziseliert. Nicht nur dem berühmten Schluss-Duett (Octavian-Sophie: „Ist ein Traum, dass wir zwei beieinandersein“) verleiht Handschuhs einsatzgenaues, motivierendes Dirigat den gehörigen Drive. Verdienter, lang anhaltender Premiere-Applaus.