Foto: Christina Jung und Klaus Müller fühlen sich verbunden. © Jan-Pieter Fuhr
Text:Tobias Hell, am 17. November 2024
Nina Mattenklotz‘ Inszenierung von Moritz Franz Beichls „Effi, Ach, Effi Briest“ am Staatstheater Augsburg überzeugt mit gut durchdachten popkulturellen Referenzen: eine Möglichkeit Theodor Fontanes literarischen Klassiker in die Gegenwart zu schleusen.
Kommt das Gespräch auf „Effi Briest“ teilt sich die Menschheit meist in zwei Lager: In die glühenden Fontane-Verehrer, und solche, die den einflussreichen Gesellschaftsroman nach der schulischen Zwangslektüre nie wieder eines Blickes würdigten. Der Österreicher Moritz Franz Beichl sieht sich dabei laut eigener Aussage ganz klar in der ersten Fraktion. Und dies, obwohl der kompakte Untertitel seine Version der bekannten Geschichte folgendermaßen beschreibt: „Frei nach Fontane, frei von Fontane, mit fast keinem Satz von Fontane, wer braucht schon Fontane, wenn man Effi hat? Effi, Effi, Ach, Effi, Ach, Ach.“
Dass der von Beichl kritisierte „Male Gaze“ der Romanvorlage bei dieser „empowernden, queer feministischen Überschreibung“ ausgerechnet von einem Mann zurechtgerückt werden soll, ist eine Ironie, die dem Autor durchaus bewusst ist. Ebenso wie Regisseurin Nina Mattenklotz, die bei ihrer Augsburger Inszenierung folglich selbst noch einmal Hand anlegte und Beichls Text um eine Reihe aggressiv heraus geschleuderter feministischer Manifeste ergänzte.
Mattenklotz‘ Inszenierung kommt vor allem grell, laut und schrill überzeichnet daher. Mit vielen Slapstick-Elementen, Meta-Kommentaren über Fontanes Text, ironisch eingestreuten Liedern und überlebensgroßer Gestik. Sowie mit einer Live-Kamera, die intime Momente bewusst ins CinemaScope-Format aufbläst. Gewürzt mit einigen popkulturellen Referenzen. Vom ebenfalls feministisch angehauchten „Ku’Damm 56“-Musical bis hin zum liebevoll parodierten Olympia-Auftritt der australischen Breakdancerin Raygun. Was der Zielgruppe durchaus Amüsement bereitet, über die volle Distanz des knapp zweistündigen Abends aber phasenweise doch auch sehr anstrengend sein kann.
Überzeugendes Ensemble
Großartig schlagen sich dabei vor allem Sarah Maria Grüning und Sebastian Müller-Stahl als Eltern Briest. Bei ihnen beantwortet sich die Frage, warum es Muttersprache heißt, mit dem alten Kalauer: weil Vater nichts zu sagen hat. Und so kommt es immer wieder zu köstlichen Szenen, in denen seine vielsagenden Blicke den aus ihr virtuos heraussprudelnden Wortkaskaden eine stumme, aber deshalb nicht weniger wirkungsvolle Pointe verleihen. Effis Berliner Schnodderschnauze, gegen die weder der Gatte noch Liebhaber eine Chance haben, nutzt sich jedoch ebenso langsam ab wie der zur weinerlichen Witzfigur degradierte Baron Innstetten. Obwohl Christina Jung und Mehdi Salim versuchen, das Beste aus dieser Konstellation zu machen. Ein wenig mehr Kontrast hätte der Geschichte dann doch gutgetan. Allein schon zum Wohle einer gewissen Fallhöhe.
Während die Uraufführung von Beichl selbst einst mit sechs Männern auf die Bühne gebracht wurde, ist man bei der Besetzung in Augsburg wieder ein wenig traditioneller unterwegs. Mit zwei Ausnahmen. Da ist zum einen der wundervolle Klaus Müller als Dienstmädchen Roswitha, der mit vollendeter Noblesse für die dringend benötigten Ruhe-Momente sorgt und mit den von Romy Camerun verfassten Songs mal ironisch, mal bissig und nüchtern kommentierenden Liedern dem Geschehen Tiefe verleiht. Wenn er philosophiert, warum Roswitha es schon immer hasste, in Fontanes Zeit eine Frau zu sein, verleiht das der Geschichte einen cleveren doppelten Boden.
Genau wie die später gespiegelte Situation, in der Mirjam Birkl als breitbeinig auftretender Macho Crampas beginnt, die Erwartungshaltung der Gesellschaft an einen „richtigen Mann“ zu hinterfragen. Hier zeigt sich ebenso, was hätte sein können, wie in der Finalszene auf leerer Bühne.
Überzeugend bis zum Schluss
Wenn die finnische Sauna, der Kunstrasen und das Milka-farbene ausgestopfte Reh weggeräumt werden und unter der tröpfelnden Regenmaschine nur noch der rote Reifrock Akzente setzt, unter dem nun Effis Cowboy-Stiefel und die lässige Sporthose verschwinden. Da weckt Ausstatterin Johanna Pfau auf den letzten Metern plötzlich noch ungute Assoziationen an die biedere „Effi Briest“-Verfilmung „Rosen im Herbst“ von 1955. Als die damals bereits über 30-jährige Ruth Leuwerik wenig glaubhaft die unglücklich verheiratete Teenagerin mimte.
Doch während sie noch den von Fontane erdachten Opfertod sterben musste, darf sich Christina Jung nun in Augsburg natürlich deutlich selbstbewusster vom Publikum verabschieden. Nicht mit einer existentiellen Krise, an der klischeehaft nur ein dummer Mann Schuld hatte. Sondern mit einer optimistisch vorgetragenen Utopie, in der Effi 99 Jahre alt wurde, ein Leben nach eigenen Regeln lebte und die Verbannung aus der gehobenen Gesellschaft, sowie das Durchschneiden der Familienbande eigentlich das größte Privileg überhaupt war.