Foto: Das Zeitkolorit täuscht: „Von der Unachtsamkeit der Liebe“ am Landestheater Niederbayern. (v.l.n.r.: Christian Hoening, Dieter Fischer, Josepha Sophia Sem, Joachim Vollrath) © Peter Litvai
Text:Martin Bürkl, am 4. März 2014
Man vergebe den Auftrag für ein Stück an einen Autor, der ansonsten Drehbücher für den „Komödienstadel“ und die „Weißblauen Geschichten“ schreibt – Sonntagnachmittagsunterhaltung par Excellence.
Man nehme als Regisseur den Intendanten der Luisenburg-Festspiele, von manchem gefürchtet oder falsch verstandenen, insbesondere als ehemaliger Autor-Darsteller des „Politiker-Derbleckens auf dem Nockherberg“ – jenem kritischen und doch meist konsensfähigen Polit-Kabarett mit viel Prominenz im Publikum.
Man besetze die Hauptrolle mit einem massigen, Vorsicht Klischee (!) sehr alpenländischen Schauspieler, der bekannt ist für verschiedene Fernsehrollen – zum Beispiel als Bürgermeister wider Willen in „Der Kaiser von Schexing“ oder als Kommissar der „Rosenheim-Cops“.
Zugegeben, das sind ungewöhnliche Vorbedingungen für eine Besprechung in diesem Magazin, wäre da nicht die Aufgabenstellung, die Lebensgeschichte des letzten deutschen Scharfrichters von der Weimarer Republik bis zur Nachkriegszeit in eine Tragikomödie zu verwandeln. Die Geschichte eines Mannes, der anfangs Schwerverbrecher, zur NS-Zeit Widerstandskämpfer – dabei auch die Geschwister Scholl – und später Nazischergen tötete.
Zweieinhalb Stunden dauert der Abend: Die gesamte erste Hälfte ist eine nicht enden wollende Abfolge kurzer Szenen in verschiedenen Personenkonstellationen – hyperrealistisches Fernseh-Schauspiel mit leichtem Kunst-Dialekt. Jede Szene wird mit Theaternacht abgeblendet und von der nächsten durch ein kurzes, live gespieltes Zwischenstück am Cello getrennt. Man spielt ohne Umbau vor einer dreiseitigen Backsteinwand, die in der harmlosesten Assoziation an einen Kasernenhof erinnert. Dabei ist der Esstisch Anton Reichmanns von Anfang an als Richtbank des späteren Guillotinen-Aufbaus erkennbar (Bühne: Jörg Brombacher).
Zu Beginn bietet sich noch reichlich Gelegenheit, unbeschwert über wenig doppelbödige Komik zu lachen, auch wenn zugleich ein seltsam-strenges, rhythmisiertes Theatererlebnis zwischen Brecht, Fassbinder und Karl Valentin stattfindet: Szene an Szene, Einfühlung und Entfremdung im raschen Wechsel.
Hält sich der erste Teil auf einem kaum Entwicklung zeigenden Gute-Laune-Plateau, ändert sich mit der Nazi Herrschaft einiges: Das Vorspiel erklingt in Moll, aus kurzen Sketchen werden längere Szenen und die Spaßkurve weist langsam aber sicher steil abwärts. Eine Dramaturgie, die an Roberto Benignis „La vita è bella“ erinnert; ein Film, der – wie Lex’ Schauspiel – weniger eine Tragikomödie darstellt, als zuerst eine Komödie und dann ein bitteres Drama.
Unter Hitler wendet sich das Geschick des stets klammen Anton Reichmanns. Er wird wohlhabend, leistest sich eine Wohnung in der Stadt, ein Haus auf dem Land und steht dafür „bis zum Knöchel im Blut“ (eines von vielen Zitaten aus Originalquellen). Um den kalten Vollstrecker entspinnt sich eine Tragödie, geprägt von der steten Suche nach Anerkennung und Zuneigung; es ist großartig, wie Dieter Fischer den Abend im Rollenklischee des unbedarft Gutmütigen beginnt, um schließlich eine Figur zu zeichnen, die immer weiter zerfällt.
Doch ist die Henkergeschichte nie bloße Folie, um davor ein persönliches Drama zu entfalten. Für Lex sind die Mechanismen der Macht und über 3000 Tode durch eine Hand gleichermaßen wichtig. Wie Reichmann selbst, zerbricht auch die anfangs so strenge Rhythmik des Stückes – Michael Lerchenberg experimentiert mit filmischen Tricks und Theaterformen: gegeneinander geschnittene Parallelhandlungen, Figuren, die zu reflektieren beginnen und ins Publikum referieren und zum Ende ein kaum angespielter Selbstmord des Sohnes, der mit der Geschichte seines Vaters und damit seiner eigenen nicht mehr leben kann.
Von diesem Abend nimmt man insbesondere zwei Dinge mit nach Hause: Die Erinnerung daran, dass hinter Typenfixierung und Rollenklischee oftmals großartige und sehr vielfältige Schauspieler stecken. Und dass sich mit eben diesen das Publikum am besten bei seinen Erwartungen „abholen“ lässt, um das Ganze nach und nach ins Gegenteil zu verkehren.