Foto: Im Bild: Patrick Zielke (als Bounafede), Nikolaus Pfannkuch (als Cecco), Joyce de Souza (als Lisetta), Victoria Kunze (als Clarice), Moritz Kallenberg (als Ecclitico) © Jochen Klenk
Text:Eckehard Uhlig, am 21. März 2016
Ein strahlender Osterfestspiel-Tag in Baden-Baden. Draußen Frühlingssonnenschein, drinnen im Theater der Kurstadt leuchtet auf der Bühne der Mond, der als Sehnsuchtsort die Phantasie der Protagonisten und der Besucher beflügelt – einer der Perspektivenwechsel, von denen die schon um 14 Uhr beginnende Premiere geprägt sein wird. Kein neuer Repertoire-Reißer steht auf dem Programm. Als Vorläufer des Science-Fiction eher eine Kuriosität der Operngeschichte: Joseph Haydns 1777 im Eisenstädter Esterházy-Schloss aus Anlass der Hochzeit des Fürstensohnes uraufgeführtes Dramma giocoso „Il mondo della luna“ (Die Welt auf dem Mond) – nach einem Libretto von Carlo Goldoni.
Den Akteuren gelingt ein kurzweiliges Singspiel, das manch feine Besonderheit ins rechte (Mond-) Licht rückt. Haydns farben- und kontrastreiche Partitur wird unter Stanley Dodds‘ zupackender Leitung von Stipendiaten der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker hinreißend musiziert. Schon die Ouvertüre markiert mit federnder Vitalität, Durchsichtigkeit der Stimmführung und pointierter Akzentsetzung musikantische Ausrufezeichen.
Alte Männer sind gefährlich und wollen betrogen werden. Mit buffoneskem Charme konzentriert sich Jörg Behrs Inszenierung auf diese Aussagen der köstlichen Verkleidungs- und Typen-Komödie. Verspielt versammeln sich um den alterssturen Bonafede, der Zigaretten rauchend wie ein fetter Buddha auf einer weiß überzogenen Chaise hockt, seine Tochter Clarice, deren Galan Ecclitico sowie das ebenfalls verliebte Diener-Paar Lisetta und Cecco. Bonafedes abhanden gekommene (verstorbene?) Frau tritt als schwarz verschleiertes Geisterwesen, als sein schlechtes Gewissen auf und ist Erzählerin gleichermaßen. Anrührend und geheimnisvoll gibt Birgit Bücker die Sprechrollen-Figur und gleich zu Beginn auch Bonafedes Seelenzustand preis: „Er betrachtet die Scherben seines Ehelebens“. Die Astrologie, der Blick auf nächtlich glänzende Gestirne bleibt sein einziges Vergnügen.
Das machen sich beide Liebespaare zunutze, denen Bonafedes Heiratsverbote und Geiz im Wege stehen. Mit Hilfe eines verabreichten Zaubertranks gaukeln sie dem Alten eine gemeinsame Reise zum Silbermond vor und zelebrieren einen Mummenschanz mit tanzenden Nymphen beim Mond-Kaiser auf einer schräg zur Bühnenrampe gekippten Mondlandschaftsscheibe (Ausstattung Marc Weeger). Bald preist Bonafede in Trance sein „unfassbares Glück“ in der Welt des Mondes, willigt in die Heiraten der Mädchen ein und schenkt ihnen, nachdem sich (in die Realität zurückversetzt) seine Wut über das Ränkespiel gelegt hat, am Ende sogar sein Vermögen.
Wie in einer Paraderolle scheint sich Patrick Zielke wohlzufühlen. Sein Bonafede brilliert mal (in der Mondbeschreibungs-Arie „Che mondo amabile“) mit träumerisch weichem, mal (im Dialog) mit energisch klarem Bass und totalem Körpereinsatz. Über durchaus vergleichbare vokale und mimische Qualitäten verfügen auch seine nicht immer vorteilhaft kostümierten Mitstreiter des spielfreudigen Ensembles, alles junge, von der „Akademie Musiktheater heute“ der Deutschen Bank Stiftung geförderte, aufstrebende Opernsänger. Mit emotionaler Tiefe und sanglicher Frische beeindrucken die Sopranistin Victoria Kunze und der Tenor Moritz Kallenberg nicht nur im Liebes-Duett „Un certo ruscelletto“ als Clarice und Ecclitico. Einen klangschönen, Koloratur-geläufigen Mezzosopran bringt Joyce De Souza (Lisetta) ein. Nikolaus Pfannkuch (Cecco) ist mit lyrisch-feinsinnigem Timbre ein veritabler Kammeropern-Tenor.
Der kürzlich verstorbene wunderbare Nikolaus Harnoncourt hat sich in Wien als Regisseur und Dirigent dem raren Opernschaffen Haydns, auch „Der Welt auf dem Mond“ gewidmet. Insofern bietet Baden-Baden keine Entdeckung, aber eine Ehrenbezeugung für den Altmeister der Wiener Klassik.