Foto: Johannes Blattner und Evi van Wieren © Sabine Haymann
Text:Eckehard Uhlig, am 29. Januar 2017
Nicht die schlechteste Idee, im „Goldstadt-Jubiläumsjahr“ – Pforzheim begeht den 250sten Geburtstag seiner Schmuckindustrie – ein Ballett auf die Bühne des Stadttheaters zu bringen, das Gustav Klimts Bilder und insbesondere seine „goldene Periode“ dekorativ feiert. Denn Tanz und Malerei sind die beiden Künste, die der jeweils anderen, ohne viel Worte zu machen, Momente sinnlicher Schönheit schenken.
Klimts Bildwerke beeindrucken mit dem verführerischen Zauber junger Frauen. Von der Darstellung seiner Figuren, Paare und Zyklen, den seinerzeit skandalträchtigen Wiener „Fakultätsbildern“ oder dem „Beethovenfries“ gehen kontrastreiche Bewegungsreize aus, die der Pforzheimer Ballettdirektor Guido Markowitz und sein Ausstatter Georg Meyer-Wiel in ihrer Choreographie aufnehmen und in Tanz verwandeln. In fließenden Linien und Schwingungen treten die zehn Tänzer/innen der kleinen, aber erstaunlich homogenen Compagnie einzeln, paarweise und zu dritt, oder als Quartett und Ensemble gleichsam aus Klimt-Gemälden und farbbunten Tapetenwänden heraus, zuweilen auch raffiniert gespiegelt in der jalousieartig gefächerten Bühnenrückwand.
Der Reigen blühender, in goldfarbenem Licht gleißender Leiber, ihr Beben und erotisches Vibrieren wird tänzerisch phantasievoll ausgelebt – mit Wirbeln auf flachen Sohlen, bodengymnastischem Gleiten, Räder schlagen, gegenläufigem Kreiseln oder Körper-Girlanden. Vor schwarzgrau schlängelnden Bildfigurationen bewegen sich die Tänzer manchmal auch wie Schattenwesen im Strom des Vergessens. In den ersten beiden Teilen des zweistündigen Tanzabends entfaltet sich die locker gefügte Ballett-Erzählung episodenhaft und dennoch zielgerichtet auf ihren Höhepunkt zu. Zur Musik des Pforzheimer Komponisten Nigel Treherne („Askewmire revisited“ op. 39), die an Debussy erinnert, nimmt ein luftig schwarz kostümierter Faun Gestalt an. Aus dem tändelnden Kreis seiner Gespielen findet zu den spätromantischen Klängen von Franz Schrekers Kammersymphonie (1916) schließlich ein Paar in inniger Umarmung zusammen, dem berühmten, 1907 entstandenen Klimt-Gemälde „Kuß“ nachgestellt. In Klimt-Manier steht das scheinbar nackte Liebespaar im strahlenden Licht, sie kindlich verrucht mit langer, rotblonder Loreley-Haarpracht. Ein von Freunden herbeigetragenes Tuch hüllt die Beiden in Gold und heitere Farbmuster ein, auch rieseln Goldsterne vom Bühnenhimmel.
Was spöttische Klimt-Kritiker, die wie Karl Kraus mit Kitsch-Verdikten nicht sparten, übersehen haben, ist die Bildtatsache, dass es eigentlich zur „goldenen Erlösung“ nicht kommt. Denn nur der Mann umfasst den Kopf des Mädchens besitzergreifend und setzt gierig zum Kuss an – sie dagegen wendet sich ab und hält ihren Mund geschlossen, ihre Hände scheinen verkrampft. Man kann also das Bildmotiv auch als totale Entfremdung der Geschlechter deuten. Folgerichtig zeichnet sich in Markowitz Ballett nach der Pause in rasanten Tanzsequenzen zur Musik von Sven Helbig (Pocketsymphonies, 2013) trotz wollüstig flunkernder Flirts das Scheitern der Beziehungen von Männern und Frauen ab. Auch die Trennung des küssenden Liebespaares ist nicht abzuwenden. Die Mädchen tanzen dabei in körperbetont engen, mit Klimt-Mustern bedruckten Schlangenhäuten. Die Jungs präsentieren sich in knielangen, goldfarben und schwarz gemusterten Shorts.
Insgesamt ist das in Pforzheim uraufgeführte, von der Badischen Philharmonie Pforzheim (unter der Leitung von Mino Marani) musikalisch begleitete Tanzstück, das im letzten Teil auch mit witzigen Pointen an Struktur und Tempo gewinnt, nicht zuletzt wegen seiner schmuckreich-lustvollen Kostüm- und Bühnenausstattung eine Augenweide, ist kunstvolles Dekorations-Ballett.