Foto: "Tschick" nach Wolfgang Herrndorf am Schnawwl Mannheim. Cédric Pintarelli, Isabelle Barth, David Benito Garcia © Christian Kleiner
Text:Vanessa Renner, am 6. Juli 2015
Der Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter ist an äußeren Parametern wie den Lebensjahren ablesbar. Er hat aber auch mit Gefühlswelten, Stimmungslagen, Sichtweisen zu tun und vor allem der Frage, wie sorgfältig wir mit ihnen umgehen und sie für das Erwachsensein bewahren. Oft spiegeln sich dann Sehnsüchte der Jugend in einer gewissen Wehmut wider.
„Tschick“ von Wolfgang Herrndorf, in der Bühnenfassung von Robert Koall, ist so ein Stück über Sehnsucht und Wehmut. Es fällt deshalb schwer, es als reines Jugendstück (empfohlen ab 14 Jahre) einzuordnen. Vielleicht ein Grund, warum es seit seiner Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden im Jahr 2011 so häufig gespielt wurde. Am Mannheimer Schnawwl in der Regie von Marcelo Diaz besticht es durch klare Bilder – das Glück in einer aussichtslosen Situation einen Brombeerstrauch am Wegesrand zu finden – und eine einfache Sprache, die es vermögen, Gemütslagen und Innenwelten auf die Bühne (mit aussagekräftigen Details von Christian Thurm gestaltet) zu transportieren.
Maik Klingenberg – er stellt sich vor als Außenseiter seiner Klasse und daher ohne Spitzname bis auf eine kurze Phase, in der er „Psycho“ getauft wurde. Maik, mit zerstrittenen Eltern und obendrein unglücklich verliebt, gerät in den Sommerferien auf eine abenteuerliche Reise mit seinem neuen Klassenkameraden Andrej Tschichatschow, kurz Tschick, mit russischem Akzent. In einem gestohlenen Lada erleben sie eine unvergessliche Reise ins Nirgendwo. Sie lernen Freundschaft, Freiheit und Hilfsbereitschaft kennen.
Cédric Pintarellis Maik hat einen offenen, lebendigen Blick, der die Unvoreingenommenheit gegenüber dem Leben und dem, was es bereithält, auf großartige Weise vermittelt. David Benito Garcia spielt die Ambivalenz des titelgebenden Tschick in all ihren Facetten: eine mürrisch-gelangweilte Wortkargheit und Verschlossenheit, die wie aus dem Nichts heraus zu tiefsinnigen, sensiblen Beobachtungen führen, die wiederum im nächsten Augenblick mit einer trockenen Bemerkung schließen.
Auch der Rest des Ensembles überzeugt in der Darstellung der Erwachsenen, auf die die beiden Jugendlichen treffen. Menschen, die sich die Gabe, sehnsüchtig zu sein, bewahrt haben. Wie der Soldat, der ein Foto seiner großen Liebe mit sich trägt. Die Sprachtherapeutin, die den Jugendlichen voller Enthusiasmus die Bedeutung des Körpers für die Aussprache nahebringt. Oder Maiks Mutter, die am Ende des Stücks in einem Akt der Befreiung ihren Besitz im Pool versenkt, um dann mit ihrem Sohn auf den Grund abzutauchen. Ein wunderbares Bild, wie sie die Welt von unten durch das Glitzern der Wasseroberfläche (projiziert auf einen transparenten Vorhang am hinteren Bühnenende) hindurch betrachten.
Tschick ist ein optimistisches Stück. Auch wenn der Sommer (und die Jugend) enden und das für Maik „kaum auszuhalten ist“. Der Erwachsene weiß, dass er zwar nicht ewig die Luft anhalten und abtauchen kann. Doch findet er Trost in der jugendlichen Gewissheit, dass er es – wie Maik bemerkt – doch „ziemlich lange kann“. Die rund 100 Minuten Mannheimer Tschick sind so ein Moment des Glitzerns, des Sehnsüchtigsein-Dürfens, kurz: ein Moment des Abtauchens.