Foto: vorne Miguel Jachmann, Katrin Huke, hinten Peter Posniak, Nancy Mensah-Offei, Thomas Fritz Jung, Ioachim-Willhelm Zarculea, Maëlle Giovanetti in "Königin Lear" in Theater Konstanz. © Ilja Mess
Text:Manfred Jahnke, am 29. Mai 2022
Man kann Shakespeare ändern, wenn man es kann, schrieb Brecht einmal. Der belgische Autor Tom Lanoye kann das. Das hat er schon bei den legendären „Schlachten“ gezeigt, die Luk Perceval grandios in Szene setzte. Das zeigt er aber auch in seiner „Lear“-Überschreibung „Königin Lear“: Ohne viel am Handlungsablauf ändern zu müssen, überträgt er die archaische Welt Shakespeares in die gegenwärtige Finanzwelt. Die Industriemagnatin Elisabeth Lear will ihre vielfältigen Unternehmen unter ihren drei Söhnen aufteilen und fordert dazu deren Liebesbekenntnis ein. Der jüngste Sohn allerdings, Cornald, verweigert dieses Bekenntnis. Zumal er von diesem Kapitalismus nichts hält und (vergeblich) nach anderen Strukturen sucht – und wird enterbt.
Es kommt, wie es kommen muss. Die beiden älteren Söhne sind nicht in der Lage, das Kapital zusammen zu halten. Mehr noch: Sie sperren ihre Mutter von allen Entscheidungen aus, die wiederum immer stärkere demente Momente zeigt. In der Inszenierung von Kristo Šagor am Theater Konstanz führt Katrin Huke grandios die Wechsel zwischen Wahn, Demenz und klaren Momenten, die weh tun, vor. Eindrucksvoll entwickelt Huke für diese Wechsel eine hohe Intensität, die vergessen macht, dass Lanoye auch von Shakespeare übernimmt, dass in den starken Bildern psychologische Motivationen keine große Rolle spielen.
Für ihre Söhne gilt das ebenso. Thomas Fritz Jung spielt den ältesten Sohn Gregory aufbrausend, versucht dabei immer wieder seine Versagerposition, auch im Zusammenspiel mit seiner Frau Connie, der Nancy Mens-Offei herbe Töne gibt, zu leugnen: ein in jeder Hinsicht überforderter Mann, der sein Versagen brüllend zu verhüllen versucht. Hendrik hingegen, der zweitälteste Sohn, versucht, den Konzern zusammen zu halten. Ioachim-Willhelm Zarculea gibt dieser Figur joviale Züge, die aber mit Widerständen nicht umgehen kann.
Gefühlvoll, aber distanziert
Das spiegelt sich in seiner Frau Alma, die Maëlle Giovanetti als distanzierte Beobachterin des Geschehens vorführt, angeekelt immer wieder ankündigend, diese Gesellschaft verlassen zu wollen – um doch zu bleiben. Giovanetti zeigt deutlich, dass sie dieser Schicht ( oder Klasse) nicht angehört und doch profitieren möchte. Dieses Aufsteigersyndrom, so zeigt die Spielerin es, macht sie leiden, aber sie verändert für sich auch nichts, während ihr Mann im Affekt Cornald, den Jüngsten, vom Dach stößt. Cornald allerdings verschwindet stets: gleich am Anfang, als er den Liebesschwur gegenüber seiner Mutter verweigert und nach Asien geht, dort von Kent, der rechten Hand von Elisabeth, gerettet (und wohl auch Vater von Cornald), zurückkehrt und dann gleich wieder vom Dach gestoßen wird. Liegt es an diesen Handlungsfolgen oder ist es doch ein darstellerisches Problem, dass Miguel Jachmann als Cornald in dieser Inszenierung keinen Widerpart zu seinen Brüdern bildet?
Für die Rolle des Kent, der rechten Hand von Elisabeth, ist Sebastian Haase drei Tage vor der Premiere eingesprungen. Er macht das souverän stoisch, empathisch mit Elisabeth empfindend. Die Rolle des Narren bei Shakespeare wird in dieser Überschreibung zu Oleg, dem Pfleger, der in stummen Gesten während des gesamten Geschehens die Handlung die Ereignisse pantomimisch kommentiert. Peter Posniak macht das großartig zu einer Figur, die inmitten des Sturmes steht, aber an der alles abprallt und die doch einen wunderbaren humanen Humor behält.
„Königin Lear“ ist ein Schauspieler*innen-Stück. Die Regie von Kristo Šagor unterstützt dies, indem er allen Figuren eine feine psychologische Grundfärbung zu geben versucht, aber auch durch eine genaue Figurenführung. Iris Kraft hat dazu ein Bühnenbild geschaffen, dass auf der sonst leeren Bühne ein Riesenpodest auf- und abfahren lässt, das nach vorne hin eine Hochhausfront assoziieren lässt, wenn es ganz hochgeklappt ist, eine Meile an Hochhäusern zeigt, aber auch den Kellerraum andeuten kann, in dem Elisabeth zu überleben versucht. Die Musik von Felix Rösch untermalt– mal ganz melodramatisch, mal in Form von einzelnen Tönen – die Inszenierung. So entsteht eine eindrucksvolle Wirkung, die aber doch nicht die leise Frage verdrängen kann, was wird uns da eigentlich erzählt?