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Mitreißendes Frauenschicksal

Anna Vita: Die Päpstin

Theater:Mainfranken Theater Würzburg, Premiere:29.10.2016

Seit zwölf Jahren erzählt Würzburgs Ballettchefin Anna Vita starke Geschichten mit Tanz. Ihre Arbeit ist und bleibt – auch unter Markus Trabusch und dessen neuer Intendanz – eine publikumswirksame Konstante am Mainfranken Theater. Ein Glücksfall bruchlos fruchtbarer Kontinuität an der Spitze einer lediglich zwölfköpfigen Sparte. Scheu vor großen, bereits in Literatur, Film, Schauspiel und Musical verhandelten Stoffen hat das kleine Ensemble dennoch keine. In der Premiere von Vitas stilsicherem, wie aus einem Guss choreographierten Stationendrama „Die Päpstin“ war jeder Platz im Großen Haus besetzt.

Emotionen zuhauf, brodelnd zu einer Zeit, in der die Kirche das Sagen und nur Männer die Freiheit zu Selbstbestimmung hatten. Religion (2016/17 spartenübergreifend der rote Faden im Fokus des in der ehemals fürstbischöflichen Residenzstadt beheimateten Theaters), aber auch die Stellung der Frauen bzw. ihre Emanzipation durch Bildung sind omnipräsente und diskussionsrelevante Themen unserer im Wandel begriffenen Gesellschaft. Vor dem Hintergrund von Flucht und Terror knöpfte sich die Choreographin zum Auftakt der aktuellen Spielzeit am Beispiel der über Jahrhunderte kolportierten Legende einer im Männergewand auf den Heiligen Stuhl gewählten Frau längst überholte Rollenbilder und die strengen Konventionen einer patriarchal organisierten Sozialstruktur vor. Diese wurden dramaturgisch clever reduziert auf die Charaktereigenschaften und inneren Beweggründe der agierenden Figuren – aus Wissensdurst (Johanna: Kaori Morito, voll Hingabe und Leidenschaft für jede Facette dieser Rolle), männlicher Tyrannei (Johannas Vater: Ioannis Mitrakis), Bewunderung bzw. Liebe (Davit Bassénz verlieh Gerold edle Gestalt, Johannas markgräflichem Be- und Unterstützer) sowie aus Neid oder Machtintrigen (das Böse des Papstvertrauten Anastasius verkörperte Felipe Soares Cavalcante mit der nötigen, sichtbar selbstsüchtigen Berechnung).

Für das mitreißende Frauenschicksal griff Anna Vita, wie der Titel ihrer überzeugend schlüssigen Ballettadaption verrät, auf den fiktionalen historischen Bestseller-Roman der US-amerikanischen Schriftstellerin Donna Woolfolk Cross (1996) zurück. Vor sieben Jahren hatte Sönke Wortmann die Buchvorlage bildgewaltig mit Johanna Wokalek in der Hauptrolle für eine breite Masse filmisch opulent in Szene gesetzt. Wer sich noch daran erinnert (oder die DVD zurate zieht), ist bestens auf den inhaltlichen Verlauf des Abends vorbereitet. Das Sujet des mutigen Mädchens Johanna aus dem mittelalterlichen Ingelheim am Rhein, das sich dank Talent und Verstellung in einer maskulin dominierten Lebenswelt als Mönch zuerst in einem Kloster in Fulda, später gar in Rom behauptet, erstmals allein Kraft eines rein tänzerischen Vokabulars aufzurollen, war dennoch – oder gerade deshalb – ein Wagnis für die Compagnie.

Fazit am Ende des straff und stringent über zwei Stunden dahinrauschenden Abends: Die Umsetzung ist geglückt! Vielmehr noch: „Die Päpstin: Das Ballett“ hält Vergleichen stand (zum Beispiel mit der Dramatisierung von Susanne F. Wolf aus dem Jahr 2012, die im November im Stadttheater Fürth gastiert) – wortlos zwar, dafür musikalisch zur Ausdrucksspannbreite der mal solistisch, mal im Gruppengefüge ins Licht gerückten Tänzer stimmig unterlegt mit einem Mix mittelalterlicher Tanzmusiken, gregorianischer Gesänge, Kompositionen von Johann Sebastian Bach oder Henryk Górecki, zeitgenössischen Chorcollagen unter anderem von Arvo Pärt und elektronischen bzw. avantgardistischen Klängen der Kultband Apocalyptica.

Keines der bedeutenden Motive wie der Familienzusammenhalt (wichtig im ersten Teil: Aleksey Zagorulko und Mihael Belilov, Johannas ungleiche Brüder), die Unterdrückung (die oft à part ausgetanzte Wut und Zerrissenheit verrieten Cara Hopkins mütterliche Hilflosigkeit), Bedrohung, Korruption und letztlich die in Hinterhalt und Fehlgeburt gipfelnde Unvereinbarkeit des obersten Kirchenamts mit den versteckten Gefühlen einer liebenden Frau fehlte. Dabei ließ Anna Vita das Publikum entscheidende Episoden ihrer Hauptprotagonistin (ihr Überleben inmitten eines Normannengemetzels oder ihre Erfolge als Heilerin) nur andeutungsweise erleben. Aus eben dieser Idee von Abwesenheit aber (be)zieht dieses Tanzstück seine Stärke.

Auch bei der Ausstattung (Sandra Dehler) wurde bewusst auf dekorative Elemente verzichtet. Man entschied sich stattdessen für wenige, stets in die Choreographie einbezogene Requisiten (Tische, Gefäße und natürlich immer wieder Bücher) und ein dynamisch-mobiles Einheitsambiente aus schräg in den schwarzen Raum hineinragenden Streben. Ein visuell unmissverständliches Konstrukt, das je nach Ausrichtung und Lage einerseits die über Johanna hereinbrechenden Gefahren, andererseits die entweder beklemmenden oder schützenden Orte auf ihrem Weg symbolisiert. Für die ansprechende Farbgebung der Kostüme wiederum zog das Team die lithurgische, Gesinnungen betonende Farblehre hinzu.

Trumpf der Produktion: Anna Vitas allein schon durch Personenkonstellationen und Blickwechsel aussagekräftige Interpreten. Vom ersten Moment an bündeln die Tänzer die Aufmerksamkeit der Zuschauer in ihren anmutigen oder rüden, verzweifelt zu Boden klappenden oder fröhlich durch in die Luft springenden Bewegungen. Den choreographisch adrett in Linien oder über zwei Bänke hinweg arrangierten Gestenspielen der Mönche zuzusehen, macht Freude. Keines der gezeigten Gefühle der Figuren, die im Erkennen plötzlich erstarren, lässt einen kalt. Jubel für das neue Werk – und ein Lob auf die schlagkräftige Einfachheit.