Foto: Álfheidur Erla Gudmundsdóttir (Desiré) und Mandla Mndebele (Coltello) haben geheiratet © Thomas Jauk, Stage Picture
Text:Andreas Falentin, am 27. September 2021
Die Exposition ist stark. Was kein Wunder ist. Denn das Unwetter in Verdis „Otello“, den Bernhard Lang mit „Der Hetzer“ überschreibt, ist ein Solitär der Operngeschichte. Selten war Überwältigunsgestik so differenziert ausgestaltet. Und die Regisseurin Kai Anne Schuhmacher nimmt die doppelte Vorlage auf und stellt bereits in diesem Prolog ein dichtes, um Otello, falsch: um Joe Coltello, drapiertes Geflecht der Themen und Haltungen auf die Bühne.
Flucht und Rassismus
Da wird zu Beginn von Flüchtlingen gesungen und wir sehen den Sänger Mandla Mndebele in einem Glaskasten, in dem 20 Zentimeter hoch das Wasser steht. Und wir identifizieren ihn – auch natürlich, das muss eingestanden werden, wegen seiner Hautfarbe – mit Shakespeares und Verdis Titelhelden. Der wiederum als Feldherr mit siegreicher, vom Sturm bedrohter Flotte den Hafen zu erreichen versucht. Dann sehen wir Menschen in einer Art Operettenuniform mit Schirmmützen, vielleicht Marine oder Wasserpolizei in einem prosperierenden Land, die ein Tau in der Hand halten, an dessen Ende Coltello erscheint und statt Verdis berühmtem „Esultate“ von Ertrunkenen singt. Ist Coltello ein Geflüchteter? War er der Kapitän bei einem erfolglosen Rettungsversuch? Oder war er einst selbst Geflüchteter und hat sich etabliert im fremden Land? Auf jeden Fall bemerken wir, dass man ihn nicht liebt, dass der Rassismus herrscht in diesem Hafen.
Aus dieser Exposition gewinnt die Inszenierung viel Dynamik. Schuhmacher inszeniert mit großer Klarheit, mit direkter, nicht selten origineller Personenführung und einfachen, so sinnlichen wie signifikanten Gruppenbewegungen. Und sie meidet fast durchgängig plumpe 1:1-Entsprechungen oder -Symboliken. Dabei helfen ihr die fast augenzwinkernden Edeltrash-Kostüme von Hedda Ladwig, vor allem aber das Bühnenbild von Tobias Flemming mit seinen skurrilen Formen und ungewöhnlichen, rätselhaft anspielungsreichen Elementen wie dem Schwanenboot auf blankem Bühnenboden oder dem erst im Wasser stehenden, dann tot auf dem Boden liegenden Baum. Vor allem aber mit den immer wieder aus dem Schnürboden kommenden Tüchern, auf denen eine von dunklen Linien durchzogene graue Struktur zu sehen ist. Eine rissige Betonwand? Ein Flussdelta von ganz weit oben? Wüstenboden? Die Tücher verändern die Tiefe des Raums, schaffen Atmosphäre und ermöglichen Umbauten hinter laufender Szene. Dazu die Wellen- und Wolken-Videos von Stephan Komitsch, die perfekt auf Flemmings Bilder abgestimmt sind, den Absturz ins Dekorative aber nicht in jedem Moment vermeiden können.
Verständlichkeit und Aggressivität
Und das Stück? Bernhard Lang hat tatsächlich Verdis vorletzte Oper überformt, wobei auch deren Vorlage, Shakespeares Stück, eine Rolle spielt. Über weite Strecken wird die Handlung mit leichten Akzentverschiebungen neu erzählt. Dabei wird meistens auf Deutsch gesungen, es sei denn, wir sind nah bei Verdi (italienisch) oder bei Shakespeare (Englisch). Die Musik schillert vielfältig, bleibt oft eng bei Verdi, bricht aber auch mal in die Gegenwart oder die britische Renaissance aus, kombiniert das große Orchester mit Elektronik, lässt aber auch einfach mal die Harfe zirpen. Für seinen deutschen Text verwendet Lang kurze Sätze, oft nur aus drei bis fünf Worten, und lässt diese häufig wiederholen. Das erzeugt zweierlei: große Verständlichkeit der Handlung und aggressive Grundstimmung.
Und die macht auf 100 Minuten Dauer doch ein wenig müde. Zumal die zu Beginn exponierte gesellschaftliche Relevanz nach und nach in die private Eifersuchtsgeschichte zurückgenommen wird, wenn auch gleichsam auf rassistischem Fundament. Jack Natas, die Jago-Figur mit dem fast kindlichen Palindrom-Namen (Natas/Satan) ist hier das Böse an sich, ein Hetzer aus reiner Lust an der Hetze, der zudem in Gestalt von David DQ Lee in der Counterlage singt, mit erotischer Verführungskraft, aber eher geschlechtslos als androgyn. Ihm steht ein Bariton-Coltello gegenüber, dem Mandla Mndebele stimmlich sehr männlich gefärbte Urkraft mitgibt, die aber sonderbarerweise seine Verletzlichkeit auf der Bühne zu erhöhen scheint. Überhaupt wird sehr gut gesungen. Ein wenig spröde, aber mit sehr schöner Linienführung von Álfheidur Erla Gudmundsdóttir als Desdemona, hier: Desiree, mit großer Verve von Hyona Kim (Emily/Emilia), Fritz Steinbacher (Kessler/Cassio), Morgan Moody (Rodriguez/Rodrigo) und Denis Velev (Berger/Montano).
Selbstmord, kein Mord
Das Ende hat Lang komplett umgebaut. Der Mord an Desirée findet nicht statt, weil Coltello zur Besinnung kommt, weil er erkennt, aus was er sich durch den Rassismus und die Bosheit seiner Mitmenschen hat machen lassen. Er bringt sich um und der Chor singt einen Appell an uns alle. Wir sollen die Hetzer in unserer Mitte aufspüren und enttarnen. Naja.
Die Inszenierung folgt dem Stück weitgehend und bewusst, indem sie Jack Natas zu einer Art mephistophelischem Zirkusdirektor macht, sozusagen zu einem reflektierten Klischee vom Bösewicht an sich. Coltellos Selbstmord hingegen muss man erahnen und einige andere Details, die man aus dem Programmheft erfährt, gehen unter den vielen großen Bildern verloren, vielleicht, weil zu viele Ebenen zusammenkommen (einst und jetzt, Shakespeare und Verdi, die Überschreibung und ihre Inszenierung).
Dynamisches Playback, nachdenklicher Rap
Und dann gibt es noch zwei Besonderheiten zu berichten. Zum einen dirigiert Dirigent Philipp Armbruster an diesem Abend, und er tut es mit Esprit und vor allem präzise, nur das Solistenensemble. Chor und Orchester wurden im Frühjahr aufgenommen, um die Premiere dieser eigentlich für den letzten März geplanten Uraufführung sicher zu ermöglichen. Und es gibt noch eine zusätzliche Verlängerung ins heute. Die Zwischenakte werden von den Rappern InDirekt und S.Castro gestaltet, der eine eine Parallelfigur zu Coltello, der andere zu Natas. Ihre Texte entstanden in Schreibworkshops des Planerladen e.V. (Jugendforum Nordstadt) und sollen nach dem Willen des Komponisten, wo immer das Stück nachgespielt wird, möglichst am neuen Ort neu entstehen. Die Texte der Raps nehmen Themen, Beziehungen, Haltungen und Tendenzen aus dem Stück reflektierend auf und gewinnen eigene Haltungen daraus, die sie an zwei Stellen auch gegeneinanderstellen, und zwar nachdenklich, keinesfalls aggressiv. So entstehen von Kai Anne Schuhmacher puristisch aber nicht lieblos inszenierte Ruhepunkte, die der gerafften, um Richtung bemühten Stücküberschreibung an Direktheit überlegen sind. Und so vielleicht auch für junge Menschen, bildungsnahe wie bildungsferne, ein Türchen öffnen können, sei es nun ins Stadttheater oder auch in die klassische Literatur oder Musik. Dass dieser Weg so gelassen beschritten, diese Karte so unprätentiös gespielt wurde, ist vielleicht die größte Stärke dieses ungewöhnlichen Theaterabends.