Foto: Kraftvolles "Roma-Armee"-Ensemble am Gorki Theater: hier Sandra Selimović, Lindy Larsson, Mehmet Ateşçi, Mihaela Dragan, Simonida Selimović und Orit Nahmias © Ute Langkafel
Text:Elena Philipp, am 9. April 2020
Ein Song zu Beginn, das ist schon mal gut: Popkulturelle Signale fesseln am Bildschirm die Aufmerksamkeit. Lindy Larsson als singender Conférencier lädt mit Zarah Leanders Sehnsuchtsschnulze „Von der Puszta will ich träumen“ ein zu einem Abend, der queer-ironisch mit Stereotypen spielt. Unter dem Firnis fernsehtauglicher Unterhaltung, mit der „Roma Armee“ das Publikum umgarnt, lauern jedoch die Schrecken: die alltäglichen Übergriffe auf Roma und Sinti. Von rassistischen Beschimpfungen, Lynchmorden, Zwangssterilisierungen erzählen Yael Ronen und das achtköpfige Ensemble, zwei Stunden lang. Glamouröse Show-Kostüme, vom Glitzercape zum Carmen-Rüschrock, die opulent bemalten künstlerischen Kulissen von Damian und Delaine Le Bas und die vom Ensemble stupend dargebotenen Gesangsnummern sind der Zuckerguss, der die bittere Pille sozio-politischer Fakten für die „Gadje“ im Zuschauerraum verdaulicher machen soll.
Wohldosierte Mischungen aus Fun, Fakt und Fiktion sind das Theaterrezept der Regisseurin Ronen. Raum lässt sie dabei für die Anliegen der Ensemblemitglieder – und in „Roma Armee“ nutzt ein starker Cast ihn für die Selbstermächtigung. Riah May Knight, eine gesangsbegabte britische Romni, verliest eine lange Liste, die ihre aktivistische Mutter ihr mitgegeben haben soll: Auf die zehn Jahre kürzere Lebenserwartung britischer Roma solle sie hinweisen und auf den Genozid durch die Nazis, denn „Berlin is not all about Berghain“. Singen soll sie, und auch eine Szene in historischen Kostümen müsse unbedingt vorkommen. Diese Wünsche erfüllt die Inszenierung. Mit Lindy Larsson bietet Riah May Knight ein jeden Gesangscontest bestehendes Duett auf, und während das Ensemble in Kostümen zwischen Mittelalterkutten und Ku-Klux-Klan-Kapuzen steckt, berichtet sie zu den Schlägen ihrer Handtrommel von einem rassistischen Vorfall in ihrem Dorf. Anwohnerinnen und Anwohner verbrannten 2003 in den Flammen des Bonfire das Abbild einer gelynchten Roma-Familie im Wohnwagen. Als ihre Mutter die Medien aufmerksam machte, wurden einige Personen wegen ihrer rassistischen Aktion verhaftet, aber die Familie Knight auch als „Verräter“ beschimpft, bedroht und aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen.
Schluckt man hier schwer, gibt’s auch immer wieder die entlastende Komik. Wer war in seiner Kindheit am ärmsten?, steigert sich das Ensemble in einen Unterbietungswettbewerb hinein, der Vorurteile bestätigt und gleichzeitig schulterzuckend hops nimmt. Eine Gay Roma Pride Parade stiefeln sie auf den Mini-Runway gen Publikum, wenn Lindy Larsson erzählt, wie die Comicfigur Mystique seinen Stolz weckte. Und als komisches Duo bestehen Mehmet Ateşçi und Orit Nahmias auf ihren eigenen Minderheitserfahrungen als schwuler Deutschtürke und als Jüdin, die hier aber niemand hören möchte. Hier gehört die Bühne den Roma und ihrer Geschichte.
Brutal ist diese Geschichte der Toten, aber sie vereint auch, länderübergreifend, wie Damian Le Bas’ Kartographie-Kulissen zeigen, und sie weckt Kräfte, die sich in die Zukunft richten. Sandra Selimović imaginiert angesichts der Übergriffe eine transnationale Roma-Revolution. Ausagiert wird sie von der Truppe in Combat Boots mit einer martialischen Kampfkunstchoreographie samt anschließender Schießerei. Ihre Schwester Simonida Selimović – auf die Idee der beiden geht „Roma Armee“ zurück – schildert eine Vision, in der Roma und Gadje Rücken an Rücken stehen. Starrten die Roma wie gebannt in die Vergangenheit, strebten die Gadje blindlings der Zukunft zu. Zwischen ihnen: die Gegenwart als leerer Raum. Drehten sich beide um, könnten in einer geteilten Jetzt-Zeit die Weißen endlich ihre Vergangenheit aufarbeiten und die Roma gewönnen eine Zukunft.
Versöhnlich ist das Schlussbild, und Simonida Selimovićs Worten folgt, wie zu Beginn, ein melancholischer Song, der ins Empowernde drängt, im Konzertstyle an der Rampe dargeboten von Riah May Knight. Durchgängig gen Publikum orientiert, eignet sich „Roma Armee“ recht gut fürs Streaming. Nah an der Rampe werden die Zuschauenden adressiert, kaum nutzt die Inszenierung den Bühnenraum. Parallelaktionen an verschiedenen Stellen, die von der Kamera kaum einzufangen sind, finden nicht statt. Und Szenisches illustriert meist den Text, sei es der Combat-Tanz oder der statisch im Hintergrund die Geschichte beglaubigende Mob mit Fackeln. „Roma Armee“ lässt sich am Bildschirm also vergleichsweise gut verfolgen. Schmerzhaft aber fehlt die Wucht realer Körperlichkeit, die das Ensemble auf der Theaterbühne mit Stolz und Verve ausagierte.
Im Gorki-Stream ist „Roma Armee“ aber nicht bloßes Lebenszeichen und auch keine Betäubung des Phantomschmerzes, weil kein Theater stattfinden darf. Klug gerahmt hat das Gorki die 24-stündige Ausstrahlung: Am 8. April ist Roma Day, ein Tag, an dem Roma-Aktivist*innen und -Verbände die fortdauernden Übergriffe und Diskriminierungen gegen Sinti und Roma in den Blick rücken. Covid-19 hat die Gefährdung noch einmal verstärkt, teilt das vom Gorki in das Streaming-Package mit einbezogene Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas tagsüber mit. Eigentlich hätte am Gorki dieser Tage wieder die Roma Biennale stattgefunden. Wie alle Veranstaltungen muss sie ausfallen. Die Kuratorinnen und Kuratorien aber, der in „Roma Armee“ mitspielende Hamze Bytyci und die Künstlerin Delaine Le Bas, sind mit einem Video-Diskussions-Format vor der Online-Premiere von „Roma Armee“ auf Facebook präsent. Delaine Le Bas steuert auch ein Einführungsvideo zum Ronen-Stream bei, einen Aufruf, nicht nur in der Coronakrise die eigenen Fähigkeiten für andere einzusetzen. Und so gelingt es dem Gorki, das seit der Intendanz von Shermin Langhoff konsequent Kunst mit Engagement verbindet, via Stream die Anliegen der dem Theater verbundenen Communities zu stärken. Das ist die Aufmerksamkeit allemal wert.