Text:Jörn Florian Fuchs, am 16. August 2019
Andreas Kriegenburg gehörte einst zu den wichtigsten, auch witzigsten Schauspielregisseuren. Mit einer ungeheuren Fantasie erzählte er alte Stoffe neu, animierte sein Ensemble häufig zu darstellerischen Höchstleistungen. Auch heute noch gelingt ihm manchmal ein Wurf. Allerdings vorwiegend im Sprechtheater. In den letzten Jahren inszeniert Kriegenburg aber zunehmend Oper an großen, sicher gut zahlenden Häusern – und enttäuscht regelmäßig. 2017 etwa gab es in Salzburg Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ als höchstens solide Produktion, mit allerlei biederem Sexgehampel und ziemlich schwerfälliger Personenführung. Jetzt also Verdis „Simon Boccanegra“, ein dunkles Stück, in dem der Zweikampf zwischen dem Titel(Anti)Helden und Fiesco im Zentrum steht, auf politischer wie privater Ebene.
Das Stück spielt in Genua, bei Kriegenburg marschieren Heere von Businessanzugträgern herum, mit Smartphone und Tablet bewaffnet, man twittert und postet Stupendes wie: „Make Genoa great again“. In einer riesigen Halle mit vorwiegend leeren Räumen, ein paar Pflanzen, einem Konzertflügel und Büromobiliar (Ausstattung: Harald B. Thor) möchte die Regie – laut Programmbuch – einen „Vulkan unter Hochdruck“ zeigen. Tatsächlich wirken viele Auftritte aber eher unfreiwillig komisch als prä-eruptiv. Die Menschenmassen agieren entweder statisch oder verstolpert, den Solisten glaubt man ihre Emotionen vor allem dann, wenn sie einfach an der Rampe stehen und die Regie sie in Ruhe lässt. Lediglich die Schlussszene, als der sterbende Boccanegra seinem Widersacher Fiesco eröffnet, dieser habe eine Enkelin, geht wirklich unter die Haut. Der Rest wird leider zum Fiasko.
Dafür gibt es eine veritable musikalische Überraschung. Der chronisch überarbeitete, meist zu wenig probende Valery Gergiev sorgt mit den Wiener Philharmonikern für düsteren Glanz und starke Momente. Obwohl es mehrfach koordinationsmäßig scheppert und Gergiev kaum sängerfreundliche Einsätze gibt, entsteht doch ein großartiger Gesamtklang, reich an abgründiger Schönheit und messerscharfen Verzweiflungsmomenten. Noch überzeugender ist die Sängerriege. Luca Salsi gibt Simon Boccanegra vokal ideal, mit perfekter Diktion, kraftvoll fließenden Linien. Marina Rebeka (Amelia Grimaldi) erfreut mit zartestem Trauergesang und eleganten Spitzentönen (um ein wenig auf hohem Niveau zu mäkeln: Manchmal klingt es ein bisschen schrill). Und Charles Castronovo überzeugt als Gabriele Adorno. Dieser Adorno wird am Ende des Stücks der neue Doge, die passende Stimme hat er. Sensationell gelingt René Papes Rollendebüt als Fiesco. Zwar darf er dank Kriegenburg szenisch vorwiegend chargieren, dafür bietet er ein vokales Feuerwerk von Emotionen, dazu in perfektem Italienisch. Ein weiteres musikalisches Pfund ist die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung Ernst Raffelsberger), die trotz szenischer Behinderung mächtig und präzise aufdreht.
Festspieldoge Markus Hinterhäuser wollte bei dieser Premiere (die übrigens völlig aus der heurigen Operndramaturgie rund ums Thema Mythos herausfällt) wohl auf Nummer sicher gehen. Warum auch nicht, es müssen ja nicht immer Regierevoluzzer mit Risikopotential auftreten. Aber Opernprofis sollten es schon sein.