Lokalkolorit als Dessert. Mit einem Star der Region eine offene Wunde der eigenen Geschichte pflegen. Die Bühne ist beengend verwinkelt und eingepackt in Banner voller SED-Propagandasprüche. Einzige Aussicht: Fluchtpunkt Ostsee. Die Uraufführung von Uwe Johnsons posthum veröffentlichtem, während des Germanistikstudiums in Rostock geschriebenem Romanerstling „Ingrid Babendererde“ ist kein Meisterwerk, aber handwerklich gut gemacht. Weniger die Ästhetik der Vorlage – multiperspektivisches Erzählen, vertrackt ironischer Manierismus – steht im Vordergrund als die Zeitchronik der frühen 1950er Jahre im abgeteilten Ostdeutschland. Erinnern, ohne nostalgisch zu werden. Auseinandersetzung mit einer entschwundenen Welt, ohne in tiefer Sehnsucht nach einer verloren gegangenen Heimat zu versacken. Zu erleben ist eine Abiturklasse. Gezeigt werden Typen, liebenswert oder lächerlich gemacht, in geradezu kabarettistisch pointierten Kurzszenen zu Konfliktlagen und Widersprüchen des real existierenden Sozialismus. Mit der lebenslustigen Titelheldin turteln, trietzen, tratschen, tatschen die drei männlichen Protagonisten herum: eine FDJler-Karikatur, der trotz aller Repressionen in Mecklenburg Wurzeln schlagen wollende Schulprimus sowie Johnsons Alter Ego, ein Klassenclown, der sich nicht länger für blöd verkaufen lassen will, offensiver DDR-Spötter und Republikflüchtling wird – der Meinungsfreiheit, nicht dem Kapitalismus zuliebe. Musiker klampfen Pop- und Parteilieder dazu. Die Publikumsansprache funktioniert derart gut, dass die Besucher mitspielen – und während einer Parteiversammlung-Szene den Phrasendrescher-Darsteller mundtot klatschen. So wie früher? Besser jetzt als nie? Selbstverständigungstheater also.
„Endlich mal wieder was los hier“, wird erleichtert im Publikum gestaunt. „Wie im Himmel“. Die Dramatisierung von Kay Pollaks Film gibt’s obendrauf. Etwas enttäuschend, wie über viele Abgründe herzig menschelnd hinweginszeniert und vor allem die Möglichkeit gelebter Solidarität gefeiert wird. Rühren wollendes Wohlfühltheater. Aber Theater als Fest: Die Einladung hat funktioniert. Bejubelt werden Vertreter aller Sparten, als sie weit nach Mitternacht, einen achteinhalbstündigen Arbeitsmarathon in den Knochen, auf der Bühne mit einem „Es lebe das Volkstheater“-Banner wedeln. Es ist zwar fahnenweiß. Aber aufgeben hat hier keiner.