Foto: "Gawein" bei den Salzburger Festspielen 2013. Christopher Maltman (Gawain), Gun-Brit Barkmin (Guinevere), Jeffrey Lloyd-Roberts (King Arthur) und Ensemble © Ruth Walz
Text:Georg Rudiger, am 29. Juli 2013
Eigentlich hätte eine neue Oper von György Kurtág die diesjährigen Salzburger Festspiele eröffnen sollen. Es wäre der Start zu dem höchst ambitionierten Projekt des Intendanten Alexander Pereira gewesen, beim renommierten Hochglanzfestival jeden Sommer eine Auftragsoper uraufzuführen. Da aber der ungarische Komponist nicht rechtzeitig fertig wurde, setzte der bereits 2014 scheidende Pereira seinen Plan B um und programmierte die außerhalb Englands noch nie gespielte, 1991 uraufgeführte Oper „Gawain“ von Harrison Birtwistle (Libretto: David Harsent) zur Eröffnung. Ein mutiger Schritt, ist doch die musikalische Sprache des Briten alles andere als leicht zugänglich. Im groß besetzten ORF-Radio-Symphonieorchester dominieren die Blechbläser (drei Tuben!) und das Schlagzeug den spröden, ruppigen, dunklen, geräuschintensiven, bei dramatischen Höhepunkten auch animalischen Orchesterklang. Dirigent Ingo Metzmacher nutzt die gesamte Bandbreite der Felsenreitschule und hat zwei Schlagzeugensembles an den Seiten des Saales postiert, wo sie mit wuchtigen Schlägen auf den Amboss und die große Trommel den Klang zusätzlich härten und mit Marimba und Zymbal Cluster legen. In guten Momenten gelingt es Metzmacher, die einzelnen Schichten der nahezu dauererregten Musik offen zu legen und einen Weg zu bahnen durch das dichte Klanggeflecht. Häufig, besonders im ersten Akt, ist das Orchester aber zu dominant. Insbesondere die wenig überzeugenden Jeffrey Lloyd-Roberts (König Artus) und John Tomlinson (Der Grüne Ritter) müssen forcieren, um überhaupt gehört zu werden – was zu deutlichen Qualitätseinbußen führt. Ausgerechnet der als indisponiert angekündigte Christopher Maltman als Gawain hinterlässt mit seinem über eine unangestrengte Höhe verfügenden, kantablen Bariton den besten Eindruck.
Die auf die walisische Mythologie zurückgehende Geschichte erzählt vom alten König Artus und seinem erschöpften Gefolge, das durch den Grünen Ritter herausgefordert wird. Gawain trennt dem Ganzkörperbemoosten (Kostüme: Eva Dessecker) auf Aufforderung mit einer Kettensäge den Kopf ab (der in Salzburg versehentlich in den Orchestergraben kullert), soll aber ein Jahr später das Gleiche über sich ergehen lassen. Am Ende wird Gawains Mut belohnt und seine Selbsterkenntnis und Demut gefördert. Regisseur und Bühnenbildner Alvis Hermanis, der im Vorjahr an gleicher Stelle Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“ inszenierte, entschlüsselt die rätselhafte Geschichte nicht, sondern fügt ihr noch weitere Erzählebenen hinzu. Die christliche Welt um König Artus ist nach einer ökologischen Katastrophe traumatisiert. Ein Davidstern ersetzt das Kreuz. Gawain wird vom Regisseur zu Joseph Beuys gemacht, der mit Hut und Weste in die mit der Natur gleichgesetzten Welt des Grünen Ritters stiefelt. Hier wächst Gras über die Zivilisation. Schlitten, Fett und Filz, Hunde und Hasen erinnern an Aktionen des Künstlers (u.a. „The Pack“/Edinburgh, „Coyothe; I Like America and America Likes Me“/New York). Am Ende des dreistündigen Abends ist man erdrückt von der Masse der Bilder, den spektakulären Videoprojektionen, den grundlos zuckenden und zappelnden Schauspielern. Und ziemlich verloren in dem Dickicht an Klängen und Symbolen. Stärker ist der wohlwollend aufgenommene Musiktheaterabend, wenn er sich musikalisch und optisch zurücknimmt wie bei der Verführungsszene im zweiten Akt. Laura Aikin singt hier Gawain als Zauberin Morgan le Fay mit einem betörenden Wiegenlied in den Schlaf, um ihn für Lady de Hautdesert (mit klarem, schlichten Mezzo: Jennifer Johnston) gefügig zu machen. Gawain widersteht dreimal der weiblichen Verlockung. Und darf dafür am Ende seinen Kopf behalten.