Foto: Die Sau rauslassen: Das Bielefelder Schauspielensemble in seiner Eigenproduktion "PReVolution" © Philipp Ottendörfer/Theater Bielefeld
Text:Andreas Falentin, am 28. Mai 2019
Die Bühne ist umkleidet mit vertikal angeordneten Waben. Eine Stimme erzählt von einer fernen, zukünftigen Welt: Von einer Zivilisation, die das Sterben kaum kennt, von der Reise des Raumschiffes „MS Horen“ (Emissoren – Emissäre – Botschafter?), die einen „Lazarus-Behälter“ irgendwohin bringen soll. Warum und welchen Inhalt das Dings hat, scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Drei Schauspielerinnen und vier Schauspieler purzen aus den Waben, gewandet in abgetragene Pseudo-Weltraumuniformen und versuchen, miteinander zu existieren. Darum geht es, einhundert Minuten lang. Wie kann man Gemeinschaft sein und sich doch als Individuum entfalten? Oder muss man sich doch für eins entscheiden? Und was ist mit Zielen? Braucht man die? Nur als Individuum oder auch als Gemeinschaft? Und die letzte Viertelstunde kommt eine Schlusspointe obendrauf. Die war erwartbar. Wir haben sie aber nicht erwartet.
„PReVolution“ am Theater Bielefeld ist ein Projekt des Schauspielensembles. Der Intendant Michael Heicks reagierte auf vielfältige Ideen und Wünsche, indem er dem Ensemble einmalig eine eigene Spielplanposition zur Verfügung stellte. Dies kann zudem als weiterer Schritt betrachtet werden auf dem „Bielefelder Weg“ hin zu flacheren Hierarchien und dem Überwinden der Spartengrenzen, um die kreativen Potenziale eines Stadttheaters zu steigern und zugänglicher zu machen. Und auch deshalb so außergewöhnlich, dass wir die Produktion in einem mehrteiligen Werkstattbericht in den letzten Ausgaben der DEUTSCHEN BÜHNE dokumentiert haben.
Tatsächlich herrscht in „PReVolution“ eine ganz eigene Atmosphäre. Die acht Spielerinnen und Spieler wirken wie von der Leine gelassen und sind doch ganz nah beieinander. „Ist das Spiel unser Projekt?“ Die Frage erklingt mehrfach, so augenzwinkernd wie ernsthaft gestellt. Als könnte dieses Ensemble, dessen andere Teile Texte geschrieben, Regie geführt, dramaturgisch gearbeitet, Bühne und Kostüme entworfen und Regieassistentinnen und Souffleure integriert haben, immer noch nicht fassen, dass es wirklich sein eigenes Ding machen darf. Und das kommt ganz anders daher, als man es von profilierten Schauspielerinnen und Schauspielern im 21. Jahrhundert erwarten würde: Leise, um epischen Atem bemüht (meistens sogar erfolgreich), sorgfältig mit Sprache umgehend, verspielt, poetisch, manchmal sogar nur um der Poesie willen.
Die Schwäche von „PReVolution“: Der Abend ist selbstreferentiell. Für manche der gruppendynamischen Prozesse, die sich vermutlich im Laufe der Genese der Produktion ereignet haben, wurde keine tragfähige theatrale Form gefunden, so dass die Vorgänge auf der Bühne bleiben und beginnen, um sich zu kreisen. Die Stärke von „PReVolution“: Der Abend ist bekennend selbstreferentiell. Da wird fröhlich mit Ironie und Selbstironie umgegangen. Alle Beteiligten sind sich klar darüber, dass sie hier ihre eigene Lebens- und Arbeitssituation, ihre eigene Weltsicht verhandeln. Es ist eine Liebeserklärung an das Theater mit heißem Herzen, mit politischer Haltung und einem elaborierten Zeichensystem. Durch den multiplen Einsatz des Emblems des Theaters, eines aus drei krummen Linien bestehenden, schiefen Kreises, bekennen sie sich zu „ihrem“ Haus, beim Einsatz von Goldfolie bei einem Mini-Aufmarsch darf man sicher an „Die Vielen“ denken.
„PReVolution“ erfindet das Theater sicher nicht neu, ist aber möglicherweise ein Schritt zur Weiterentwicklung der Institution Stadttheater, zeigt eine Form, wie Mitarbeiter eines Theaters Verantwortung über den eigenen Job hinaus übernehmen können. Mit Freude und Mehrwert. Und im Zusammenspiel artikuliert sich fast eine Utopie: Derart rückhaltlose Zärtlichkeit im Zusammenspiel war selten. Und rührt mit einer Lebendigkeit jenseits aller Sentimentalität. Und die Fortsetzung ist bereits projektiert. „Voluptas & die hungrigen Kinder“ wird es heißen, in einem Jahr, unterm Dach juchhee im Theater am Alten Markt in Bielefeld. Wenig Plätze. Karten sichern!