Denn Regisseur und Schauspieler, die gerne ein „wir sind in Oberhausen 2021“ einflechten, haben eine Menge Fragen. „Wie wollen wir diesem Text heute begegnen?“, heißt es schon in der Ankündigung und da klingt ein kräftiges „überhaupt noch“ mit. Dazu leuchtet das Schlagwort „Entdramatisierung“ über die faszinierend multimediale Bühne von Robert Kraatz.
Ein scheinbar rundes Haus mit vielen knarrenden Türen, doch dessen oberer Teil ist bloßer Schein. Denn die Zimmer dort gibt es nur im und als Film, auf dem Bildschirm erscheint die Szenerie mehrfach geteilt, mal quer, mal senkrecht – und gerahmt von schwarzen Streifen wie bei einem Cinemascope-Film im Fernsehen. Da kann dann schon mal Garga als Filmfigur die Szene verlassen und als Akteur unten wieder die Bühne betreten – Henry Morales spielt ihn tieftraurig, lapidar-leise, demoralisiert, zur Boxerhaltung muss er sich zwingen. Klaus Zwick als Shlink dagegen ist vif, raumgreifend, verschlagen, oft mit Theaterton – vieles davon aber muss der Zuschauer erahnen, denn alle tragen Masken, die unterm Kinn offen lappen.
Doch Brechts frühes Stück muss immer wieder in die zweite Reihe weichen, denn die Oberhausener nehmen übel. Dass Shlink ein Malaie ist, ist ihnen ethno-kolonialistisch, sein „sexistisches Frauenbild zwischen gefallenem Engel und kleiner Hure“ ohnehin des Teufels. Da muss Marie (Genet Zegay) mit einem „Basie“ (vulgo: Baseballschläger) ihr Rollenklischee zerkloppen und „fightclubmäßig auf die Fresse“ geben. Dann doch lieber Brecht-Sätze wie „ich verbiete Ihnen, an meinem Aussatz zu schaben“.
Das Chaos, das bei Brecht dem Leben einen Sinn gibt, findet man reichlich: Immer wieder wird laut gluckernd aus leeren Flaschen gesoffen; das Holzhaus (die Kamera zeigt es deutlich als Theaterkulisse) ist mal Innen-, mal Außenraum; wird ein Publikum angesprochen und -gebrüllt, das gar nicht da ist. Über all dem wacht aber B.B. in unzähligen Porträts, auch mal à la Rubens oder so verfremdet.
Das alles ergibt weniger ein Dickicht als vielmehr eine Dauerschleife: Verfremdet man den Verfremder und wenn ja, wie? Braucht es (unauffällige) Zusatztexte wie die von Julienne De Muirier? Bedeutet Entdramatisierung Entrümpelung oder Enträtselung? Das alles hieven Regisseur und Ensemble auf eine Bühne, sollen Brecht spielen und wollen zugleich über ihn nachdenken, negieren, auseinandernehmen. Das ist mal plausibel, mal platt, hat gerade und irrige Wege, zieht auch schon mal eine Linie von „Kredit“ zu Kreditkarte und Koks. Riskant aber wird es, wenn man bei all den Fragen und Einwänden in einen Aluhüte-Modus gerät, mit „man wird doch noch…“-Attitüde ein „Klima der Angst“ und der „Hetzjagd auf unsere Denker“ bejammert. Und das am Abend des AfD-Parteitags in Dresden.
Kurz vor dem Ende der Aufführung, die aufgezeichnet und geschnitten, also bearbeitet wurde, kommt vor dem Showdown erst noch die (Hochzeits-)Party mit wildem Geballer und Mama Maë als bonbonfarbenem Rauschgoldengel, gespielt von Julius Janosch Schulte. Das wirkliche Ende, bei dem Garga den Kürzeren, aber Shlink keinen Gewinn zieht, ist dann erstaunlich moralisch-melancholisch. Bleibt die Frage: Das kann man mit Brecht machen, aber sollte man auch?