Claire (Betsy Horne) und der Coyote ( Ivan Estegneev) im ertsen Akt.

Aufbruch durch Brummton

Missy Mazzoli: The Listeners

Theater:Aalto-Musiktheater Essen, Premiere:25.01.2025 (DE)Autor(in) der Vorlage:Jordan TannahillRegie:Anna-Sophie MahlerMusikalische Leitung:Andrea SanguinetiKomponist(in):Missy Mazzoli

Die amerikanische Komponistin Missy Mazzoli hat die attraktive und problematische Oper „The Listeners“ geschrieben, perfekt zur deutschen Erstaufführung gebracht von der Aalto-Oper Essen.

Im Zentrum der 2022 in Oslo uraufgeführten Oper „The Listeners“ steht ein tiefer Brummton, den Menschen hören wie Claire, Ehefrau, Mutter und Lehrerin. Man erlebt, wie der Brummton, den sie nicht los wird, in ihrem Kopf dazu führt, dass sie ihre Rolle in der Familie und der Gesellschaft nicht mehr ausfüllen kann. Währenddessen erzählen, vorne an der Rampe, andere Figuren ihre Geschichten, alles Außenseiter, die ihre festgeschriebene Rolle in einer von der Institution Familie dominierten Gesellschaft nicht mehr bewältigen können. Auch sie hören den Ton. Was Henne, was Ei ist, ob das Außenseitertum den Ton hervorbringt, oder der Ton diese Menschen zu Außenseiter macht, erfährt man nicht. Claire entzweit sich mit Mann und Tochter und verliert ihren Job. Mit Kyle, einem ihrer Schüler, der auch ein „Brummton-Opfer“ ist, sucht sie eine Selbsthilfegruppe auf, die „Listeners“. Ihr Anführer Howard Bard, der die Selbsthilfegruppe wie eine Sekte führt, nimmt sie auf.

Oper über Menschen im 21. Jahrhundert

Bis zu diesem Punkt ist „The Listeners“ eine fast perfekte Oper. Weil das Libretto von Royce Vavrek sehr poetisch ist, aber den Menschen im 21. Jahrhundert gut kennt. Weil Missy Mazzoli nicht nur hinreißende Chormusik schreibt, die sich oft aus Clustern aufbaut und dann in langsamen Rhythmen schwingt. Auch die Orchestermusik mit viel Schlagwerk und Elektronik fasziniert. Obwohl sie die Sänger:innen nicht begleitet, sondern ein Fundament schafft für das Stück, mit zauberhaften Klangfarbenwechseln, ohne motivische oder melodische Strukturen, aber mit fesselnden Aufschwüngen, fast ein Soundtrack und oft räumlich gedacht.

Überlagerte Strukturen

Der zweite Teil ist schwieriger. Weil die amerikanisch gedachte Struktur der Sekte, die ausführlich beschrieben wird, die am Anfang gestellten gesellschaftlichen – auch feministischen – Fragen überlagert, etwa die Frage der Emanzipation von bürgerlichen Rollenmodellen. Und, weil die Rolle des „Coyote“, eine stumme Figur, die von Tänzer Ivan Estegneev dargestellt wird, immer rätselhafter wird. Er ist irgendwie wild, verkörpert Wildnis, aber auch Individualität. Die Figur ist ein dramaturgisches Mittel, den Gegensatz von Geborgenheit und Selbstentäußerung als Rahmen der Handlung zu positionieren. Aber er läuft neben der Handlung und ist nicht Teil von ihr.

So bleibt dieser Teil ein Stückwerk. Die Figuren bleiben interessant, aber der Handlungsfluss geht verloren, zumal am Schluss, wo die Handlungsmotive sich überschlagen. Es gibt Rebellion in der Sekte, Howard wird als MeToo-alter-weißer-Mann enttarnt, Claire übernimmt die Selbsthilfegruppe, es gibt einen blutigen Zusammenstoß mit der Polizei. Claire trennt sich von ihrer Familie und wird selbst zum Coyoten (also zu was?).

Erfolg für die Aalto-Oper

Die Essener Erstaufführung war in jedem Fall ein Erfolg. Anne-Sophie Mahler schaffte es vor allem, mit hervorragender Personenführung schlüssig zu erzählen. Die Kostüme von Pascale Martin setzten sanfte, fühlbare Reize, die Bühne von Katrin Connan nutzte einen Schriftzug – „Anger“ – für Claires Haus und auf ein Glashaus für die Sekte. Sonst blieb der Raum leer, umrahmt von den Videos von Georg Lendorff, die die Handlung, etwa mit den psychedelischen Bonbon-Farben im Sekten-Bild, nah an die Ironiegrenze schoben.

Großartig war der Chor, besonders in den Meditations-Musiken. Die Essener Philharmoniker glitten unter der Leitung von GMD Andrea Singuineti stimmig und selbstbewusst durch diese ungewöhnliche, musikalische Aufgabe. Das 14-köpfige Solist:innen-Ensemble verdiente sich durch die Bank Bestnoten. Betsy Horne als Claire schaffte die Sopran-Aufschwünge leicht, war auch stimmlich eine menschliche Figur. Mandla Mndebele und Lisa Wittig verkörperten Misstrauen und Liebe von Mann und Tochter sehr glaubhaft. Heiko Trinsinger war ein Sektenführer von raumgreifender Präsenz und Bariton-Stimme, Deirdre Angenent eine in jeglicher Hinsicht bewegliche „Nummer zwei“, Aljoscha Lennert verkörperte mit flüssigem Tenor bewegend den Schüler Kyle. Und Johannes Weisser, Tobias Greenhalgh, Marie-Helen Joel, Christina Clark und Robin Grunwald gaben den Sektenmitgliedern stimmliche Schönheit und dramatische Struktur. Eine tolle Leistung der Aalto-Oper.