Foto: Harald Schröpfer und Michael Naroditski stellen zwei Seiten derselben Figur dar. © Jürgen Bartenschlager
Text:Manfred Jahnke, am 25. Januar 2025
Am Landestheater Schwaben inszeniert die Regisseurin Alice Asper den Roman „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq. Sie zeigt, wie moralisches gesellschaftliches Umdenken einen Menschen innerlich auseinanderbrechen lassen kann.
Mit „Unterwerfung“, 2015 erschienen, hat Michel Houellebecq seinen wohl politischsten und umstrittensten Roman geschrieben. Er entwirft das dystopische Bild einer nahen Zukunft, in der in Frankreich ein islamischer Präsident unter bürgerkriegsähnlichen Zuständen gewählt wird. Geschickt verknüpft Houellebecq die Entwicklung der politischen Situation mit der Geschichte des Literaturwissenschaftlers François, der gerade eine Existenzkrise durchlebt: Ein fader Berufsalltag der Lehre lässt ihn ekeln, selbst mit der Liebe will es mit dem Weggang von Myriam nicht mehr so recht klappen, kurz: sein Leben scheint ausgelebt, ein Suizid drängt sich als möglicher Ausweg vor. Als ihm dann noch mit der Machtübernahme von Mohammed Ben Abbes die Lehrerlaubnis entzogen und er mit einer beachtlichen Pension in den Ruhestand geschickt wird, bleiben ihm nur noch Alkohol und halbgare Fertiggerichte.
Moralisches Umdenken
Nicht nur spiegelt sich die politische Entwicklung in der Biografie des Literaturwissenschaftlers, mehr noch werden in diesem Roman Verhaltensweisen untersucht, die den Islam im alten Europa erst stark machen. François ist spezialisiert durch seine Dissertation über das Werk von Joris-Karl Huysmans, der mit „Gegen den Strich“ ein „Brevier der Dekadenz“ entwarf. Mit diesem Begriff analysiert Houellebecq die geistige und moralische Haltung des laizistischen westlichen Denkens. Auch François wird bei dem Angebot des schon früh zum Islam konvertierten Rektor Rediger wankend, nicht nur eine gut dotierte Professorenstelle anzutreten, sondern auch das Recht auf drei Ehefrauen zu bekommen, wenn er zum Islam übertritt. François soll davon überzeugt werden, „dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung liegt“.
Zwei Schauspieler in einer Person
In ihrer Fassung für das Landestheater Schwaben konzentriert Alice Asper die Ereignisse auf die Zeit rund um die Präsidentenwahl und richtet ihr Interesse auf die Frage, wie verhält sich der Einzelne, wenn sich in der Gesellschaft die Werte verändern? In ihrer Inszenierung verblüfft sie durch den Kunstgriff, zwei François auftreten zu lassen. Gleich zu Beginn treten durch eine drehbare Verandafensterkonstruktion mit Spiegeleffekten (Ausstattung: Monika Gora) Harald Schröpfer und Michael Naroditski auf. Sie sitzen in Distanz stumm nebeneinander, führen gleichzeitig ihre Bewegungen aus, bis der Dialog beginnt. Sie verkörpern verschiedene Facetten der Figur. Naroditski ist dabei der eher Zweifelnde, Skeptische, Nachfragende, während Schröpfer den mehr aktiven Part übernimmt. Es gelingt dabei den beiden Darstellern die beklemmende Atmosphäre des Romans von Houellebecq herzustellen.
Unterwerfung als Glück?
Die Doppelbesetzung der Figur ermöglicht die Sichtbarmachung des Widerstreits zwischen Lebensekel und neuer Hoffnung. Alice Asper lässt darüber hinaus Schröpfer und Naroditski weitere Rollen wie den Vater, Robert Rediger oder Des Esseintes, einer Figur aus „Gegen den Strich“ von Huysmann, spielen. Wenige Kostümteile genügen, um den Rollenwechsel anzudeuten. Dadurch entsteht auch ein hohes Spieltempo, das Schröpfer und Naroditski sichtlich genießen. Am Ende bleibt offen, ob François sich unterwerfen wird. Zwar lächelt Naroditski verschmitzt in sich hinein, als er hört, dass ihm drei Ehefrauen zustehen. Ein Black enthebt ihn der Entscheidung.