Foto: Shari Asha Crosson, Christian Bayer und Anna Polke (v.i.) im ursprünglich als Bühnenproduktion gedachten Film "From Horror Till Oberhausen" © Isabel Machado Rios
Text:Andreas Falentin, am 11. Dezember 2020
Der Witz hat es schon immer schwer gehabt auf der großen Theaterbühne. Jetzt, in Zeiten der Pandemie, spüren wir das umso mehr. Je mehr das Virus auf alle gesellschaftlichen Bereiche übergreift, desto mehr besteht die Gefahr für den, sozusagen ernsthaften, Spaßmacher, falsch verstanden zu werden. So ist insbesondere der schwarze Humor im Moment so gut wie komplett von den (Stream-)Bühnen verschwunden. Das macht „From Horror Till Oberhausen“ umso wertvoller.
Die Idee, die FUX (Falk Rößler und Nele Stuhler) antreibt, ist so skurril wie naheliegend. Ihre Performances sind stets partizipativ gedacht, die Teilhabe findet aber nicht auf der Bühne statt, sondern in der Auswahl von Stoff und Stück. Als sie 2019 über Doppelpass-Fonds der Kulturstiftung des Bundes an das Theater Oberhausen kamen, war ihr erster Schritt, intensiv Menschen in der Stadt zu befragen. „Was möchtest Du gerne sehen im Theater?“ war die wesentliche Frage. Die Antworten reichten von „einen Klassiker“ über Märchen, „Die drei Musketiere“, „My Fair Lady“, „Warten auf Godot“ und viele andere erwartbare Stücktitel bis hin zu Filmen, Fernsehserien und auch „Hier gibt’s ‘n Theater?“ In einer ersten „Stadtversammlung“ stellten FUX die Ergebnisse vor und versuchten vorsichtig Linien herauszuschälen, in einer zweiten wurde dann das Projekt festgelegt. Es sollte eine Mischung sein aus der Thriller-Splatter-Vampirfilmlegende „From Dusk Till Dawn“ von Robert Rodriguez und Quentin Tarantino und dem Musical „Rocky Horror Show“ und zwar in Form einer Komödie und von „etwas, das es noch nicht gab“.
Der Verlauf der Pandemie verhinderte zweimal eine Theaterpremiere, so dass sich FUX gemeinsam mit dem Theater schließlich zu einer Komplettverfilmung entschloss. Dadurch ging zweifellos eine wichtige Ausdrucksebene verloren. Aber es blieben noch genug übrig.
Wenn man die Vorgeschichte kennt, hat man Erwartungen in sich geweckt. Diese unterläuft FUX komplett. Die ersten 80 Minuten sind eine Art Making of der folgenden 40 Minuten, die einerseits den Entstehungsprozess dieser speziellen Produktion als auch den generellen Produktionsprozess am Theater auf originellste Weise widerspiegeln. Und spiegeln und spiegeln. Wir befinden uns am Theater Oberhausen, das das „Theaterkollektiv Panorama“ engagiert hat, um einen Umsatzhit zu produzieren, was Janett, Maren und Bernd schon in vielen Städten getan haben, indem sie tun, was FUX in Oberhausen tut. Um die Besonderheit zu unterstreichen, hat das Theater Dokumentarfilmer beauftragt, die Proben zu begleiten – und zwar FUX! Die interviewen die drei Performer, begleiten das Casting, bei dem, anders als im „echten“ Projekt die Laiendarsteller Cordula, Rocco und Frank dazukommen und stellen die völlig absurde Band „Nasse Asche“ vor. Es gibt Annäherungen und Konflikte, Unregelmäßigkeiten und Irritationen, Eitelkeiten und Neurosen, schließlich eine Art Ermächtigung des „Ensembles“ gegenüber dem Filmteam.
Das alles ist erstaunlich cool und treffsicher, vor allem aber lebendig inszeniert, gefilmt und gespielt. Die Geschichten stimmen, die Figuren sind so leicht übertrieben gestaltet, dass man noch gerne mit ihnen geht und bei ihrem nie lauten Spiel mit nahezu allen denkbaren heutigen Theaterklischees lustvoll – und manchmal leicht angeekelt – zuschaut. Dabei wird das Theater, werden Bühne und Backstagebereich als Schauplatz geradezu liebevoll in Szene gesetzt. Es gibt reizvolle, nie zu aufdringliche Verfremdungselemente wie die bunten Perücken oder Michelangelos David als Pappkamerad, der fast immer irgendwo im Bild rumsteht, einmal auch mit abgeschlagenem Kopf. Vor allem überzeugen die Schauspieler. Ronja Oppelt (Maren), Shari Asha Crosson (Janett), Torsten Bauer (Bernd), Christian Bayer (Frank), Anna Polke (Cordula) und Henry Morales (Rocco) gehen mit der ständigen Nähe zur Kamera glänzend um, machen nie zu viel und bleiben doch theatralisch, künstlich. Wenn sich der Schauplatz in die Stadt verlagert (zur Befragung der Bevölkerung oder zum Feierabendgespräch am Büdchen) oder in die Öffentlichkeit (Pressekonferenz, zwei gelungene Auftritte von Intendant Florian Fiedler), wird immer vorgezeigt, wie filmisch Illusionen erzeugt werden. Und dennoch funktionieren sie.
Und dann endlich kommt sie, die noch nicht dagewesene Komödienvermengung von „From Dusk Till Dawn“ und „Rocky Horror Show“. Sie fängt klein an und bleibt klein, filmräumlich gedacht. Aber die Erzählung stimmt, auch im Vorzeigen der Mittel. Die von Nils Weishaupt, Timo Kühn und Jan Arlt erdachten und eingespielten Songs sind stimmig und wirkungsstark und im Ensemble wird hervorragend und – sehr wichtig! – unprätentiös gesungen. Und die Bilder sind exquisit, besonders die Animationen zu Beginn und der Schnitt von der psychedelischen Kneipe mit den lustigen Vampirfratzen in den Greenscreen-Raum, in dem es außer einer grünen Tür und einer stilisierten grünen Kaktee – wir sind ja in Mexico! – nur Grün gibt.
Tolles Ding also. Ich habe mehrfach laut gelacht, alleine vor meinem Computerbildschirm. Und war begeistert davon, wie hier der Medientransfer funktioniert, dass ich einen nicht nur ästhetisch attraktiven Film zu sehen bekomme, in dem das Theater lebendig zu Wort kommt. Gleichsam als Zugabe stellt FUX relevante Fragen: Kann man es schaffen, dass man Stücke auf den Spielplan setzt, die wirklich für viel mehr Menschen in einer Stadt interessant sind als die, die üblicherweise ins Theater kommen? Und würden die dann auch kommen?
Es wäre wirklich interessant, zu wissen, wie viele Oberhausener sich diesen Stream zu Gemüte geführt haben!
Bis zum 31. Dezember kann „From Horror Till Oberhausen hier kostenfrei gestreamt werden.