Johan Simons bleibt nah bei Shakespeare, nimmt ihn beim Wort und vertraut der Geschichte. Das verbindet ihn mit Dieter Dorn. Von dessen Erhabenheit allerdings ist bei Simons wenig zu spüren: Er erdet das Drama, holt seine Figuren zurück auf den Boden. Simons zeigt Menschen. Nicht Helden. Stefan Hunstein, Wolfgang Pregler, Peter Brombacher, Annette Paulmann, Sylvana Krappatsch … Simons hat ein großartiges Ensemble um sich versammelt und animiert seine Schauspieler zu Höchstleistungen: Sie alle treffen den Ton, viele zeigen völlig neue Facetten ihrer Kunst. Bert Neumann hat eine Spielwiese der Eitelkeiten gebaut: eine kreisrunde Rasen-Plattform, zu der mit Stoffbahnen verhängte Holzstege führen. Eine Kulisse, die an ein sommerliches Strandbad erinnert. Ein glitzernder Lamettavorhang sorgt für den nötigen Glamour, verwandelt die Wiese in die diversen Paläste – und verheddert sich ständig und völlig unglamourös in Haar und Kleidung derer, die hier ein und aus gehen. Der schöne Schein ist nur Fassade.
André Jung spielt den Lear. Er spielt einen, der hadert, zaudert, der eine Entscheidung trifft, die er nicht leben will. Er spielt einen, der der Schlechtheit der Welt kindlich naiv gegenübersteht, der nicht fassen kann, dass seine eigenen Töchter ihm so wenig wohlgesonnen sind. Als die Welt um ihn in einem grandiosen Sturm zu zerbrechen droht, als er dem Wahnsinn nahe ist – da gelangt dieser Lear zu einer tiefen Ruhe. Nun, da er die Welt erkennt, wie sie ist, findet er zu sich. Lear, der Wahnsinnige: Hier ist er ein weiser, alter Mann. In seinem Palast ist kein Platz mehr für ihn, er ist bei den Schweinen gelandet, die Simons – textgetreu – auf die Bühne und seine Schauspieler loslässt. Der Narr, den Thomas Schmauser grandios trötend, tobend, turnend und tiefgründig spielt, er wusste es von Anbeginn: Die Welt, sie ist ein Narrenhaus.