Foto: "Don Juan" am Residenztheater. v.l. Franz Pätzold (Don Juan), Bibiana Beglau (Elvira), Aurel Manthei (Don Juan) © Matthias Horn
Text:Anne Fritsch, am 29. Juni 2018
Es ist vielleicht nicht das Stück, das einem als erstes in den Sinn kommt, wenn man an Frank Castorf denkt: „Don Juan“ von Molière. Oder doch? Ein Stück über einen Mann und jede Menge Frauen, irgendwie passt das dann doch wieder zum ehemaligen Volksbühnen-Intendanten und ewigen Regie-Berserker Castorf. (Der in einem Vorab-Interview auch gleich Parallelen zu seinem eigenen Liebesleben zog.) Diesmal geht es also explizit und ohne Umschweife um das, um das es bei Castorf stets – auch – geht: um Frauen. Und Männer. Und weil es bei Castorf ja immer etwas mehr sein darf, gibt es hier gleich zwei Don Juans, zwei Varianten des einen Verführers: Aurel Manthei und Franz Pätzold.
Eine Doppelbesetzung, die durchaus ihren Reiz hat: Die beiden treten in „innere“ Dialoge, ziehen wie beste Kumpels um die Häuser, um die Frauen klar zu machen. Und wenn der eine gerade Skrupel hat, verwirft der andere sie. Aleksandar Denic hat ein kleines Barocktheater auf die Bühne des Münchner Residenztheaters gebaut, das den Bezugsrahmen der Inszenierung vorgibt, die sich explizit auf Molière bezieht, sei es in den barock angehauchten Kostümen von Adriana Braga Peretzki oder der französischen Sprache, in die die Darsteller immer wieder verfallen. Castorf inszeniert ein Schau-Spiel, ein Varieté der Eitelkeiten und Begierden, überschattet in jedem Moment von der Gewissheit der eigenen Sterblichkeit. Ein Wechselbad aus Himmelhoch-Jauchzend und Zu-Tode-Betrübt, eine manische Jagd nach der ultimativen Lust.
Der Show-Down mit der ersten Frau, Elvira, findet als Spiel im Spiel auf der Mini-Bühne statt: Bibiana Beglau zeigt eine desillusionierte und von den Don Juans gedemütigte Frau. Nackt und verletzlich steht sie da, ihren pinken Fransenbikini hat sie heruntergestreift. Manthei kneift sie zum Abschied in die Brust, bevor die beiden Juans sie ablegen wie ein nutzlos gewordenes Requisit, sich selbst vor dem Publikum verbeugen und sich wieder ihrer düsternen und zwanghaften Getriebenheit hingeben.
Leichtigkeit und Erotik kommen erst auf, als die Juans einem neuen Objekt der Begierde begegnen: der Melkerin Charlotte, die sich – von ihrem Verlobten Pierrot gelangweilt – gerne aus ihrem Streichelzoo (mit echten Ziegen) entführen und auf eine Ménage à trois mit den feinen Herrn einlässt. Nora Buzalka und Marcel Heupermann spielen Charlotte und Pierrot mit einer Konzentration auf Figur und Szene, die bei Castorf Seltenheitswert hat. Man ist ganz nah an der Geschichte, keine Diskurse oder Ironisierungen, die ablenken: nichts als starkes Schauspielertheater.
Natürlich kommt Castorf das Episodenhafte in Don Juans L(i)eben und Molières Stück entgegen, er bleibt erstaunlich nah am Text – oder zumindest an der Handlung. Selbstverständlich fügt er auch diesmal Texte ein (von Georges Bataille, Heiner Müller, Blaise Pascal und Alexander Puschkin), doch bettet er sie dezent in den Molière ein. Keine endlosen Abschweifungen, die einen vergessen lassen, was eigentlich verhandelt wird.
Dieser „Don Juan“ ist mit guten vier Stunden eine der kürzesten Castorf-Inszenierungen – fast schon ein Quickie – und sicher eine der konzentriertesten. Trotzdem bleibt er ein echter Castorf samt der typischen Ingredienzien: verschachtelte Drehbühne, Video-Übertragungen, Leuchtschrift, Cola-Automat und nackte Frauen. Und doch: Selbst die sind ausgerechnet bei diesem Thema angezogener als sonst. Castorf stülpt nicht sich selbst dem Stoff über, sondern ordnet sich diesem unter. Ein wenig entrückt kommt diese Inszenierung daher, beinahe merkwürdig konzentriert auf dieses Drama um den einen Mann und seine vielen Frauen. Es tut dem Abend gut, dass er nicht mit Globalisierungs-, Kapitalismus- und Kolonialismuskritik vollgestopft wurde. Dass diese sich auf dezente Zeichen wie die Louis-Vuitton-Tapete im Plumpsklo beschränkt.
Wenn die beiden Don Juans schließlich in einer Video-Sequenz zu Jay Jay Johansons „So Tell The Girls I Am Back in Town“ über die Maximilianstraße flanieren und in einem Schaufenster den Slogan „Liberté Egalité Sexualité“ erblicken, ist das das augenzwinkernde Ende einer erfrischend leichten und möglicherweise altersentspannten Inszenierung.