Meister-Ballett

Bridget Breiner: Maria Stuart

Theater:Badisches Staatstheater Karlsruhe, Premiere:16.04.2023 (UA)

In Karlsruhe ist mit Bridget Breiner eine Choreographin am Werk, die ihre Ballett-Compagnie und Solisten diszipliniert auf der Spitze tanzen lässt. Die sich zum Handlungsballett bekennt, dem sie einen klassischen Dramen-Stoff anverwandelt. Und als Gesamtkunstwerk, mit orchestral-chorischer Opern-Opulenz ausgestattet, auf die Bühne bringt. Ihr (wegen der Pandemie) mehrfach aufgeschobenes und lange vorbereitetes Ballett-Projekt „Maria Stuart“ nach Friedrich Schiller, das am Badischen Staatstheater endlich Premiere und Uraufführung feiern konnte, ist ein Meisterwerk.

Leidenschaftlich-emotionale Tanzsprache

Breiner lehnt es ausdrücklich ab, eine feministische Choreographin zu sein. Aber ihr Interesse und empathisches Gespür für große Frauenrollen ist offensichtlich. Nicht nur in dieser Hinsicht spricht ihr Tanzdrama Bände. Die beiden solistisch hervorragend mit Sophie Martin als Elisabeth I und Bridgett Zehr als Maria Stuart besetzten Königinnen kämpfen wie bei Schiller um Macht und Liebe. Die schottische Königin verliert Krone und Leben, Elisabeth erringt für das anglikanische England einen schalen, mit Angst, Beschämung und moralischer Ödnis erkauften Triumph. Diese gewissermaßen von Männern arrangierte, von Schiller – der hier lorbeer-bekränzt zuweilen von einem Bühnenfenster aus zuschaut – literarisch ausformulierte menschliche Katastrophe vermag die Karlsruher Ballettdirektorin in eine klassisch grundierte, modern-ausdrucksstarke und leidenschaftlich-emotionale Tanzsprache zu überführen.

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Im Prolog produziert sich an der Bühnenrampe Baris Comak als Henker mit Scharfrichter-Beil, was Marias unabänderliches Schicksal vorwegnimmt. Im ersten Akt wird Elisabeth in goldgelb glänzender Taft-Robe königlich vorgestellt. Sie nimmt ihren Thron in Besitz, zeremoniell halten Paladine über ihrem Haupt die englische Krone. Eine Gauklertruppe und eine hoffnungsgrün kostümierte Jagdgesellschaft feiern am englischen Hof – mit Pablo Octávio als französischer Prinz und Ehe-Aspirant, der mit allerhand Bilderbuch-Tanzposen und imposanten Grand Jeté-Runden auf sich aufmerksam macht. Bleierne Trauer liegt dagegen über Maria Stuart, die im eleganten blauen Kleid kurze Schatten-Auftritte hat. Ihr wird eine billige gelbe Pappkrone gleichsam nachgeworfen. Für die eine Seite ertönt aus dem Orchestergraben höfisch-galante, bunt adaptierte Renaissance-Tanzmusik. Für die andere erklingen chorisch gesungene, dunkle Totenmesse-Passagen mit dem „Kyrie Eleison“. Das sinnfällig gefügte, vielfarbige Pasticcio aus Kompositionen von Benjamin Britten und James MacMillan wird vom Badischen Staatsopernchor, der auch die Stimmen des Volkes auf der Bühne vertritt, und von der Badischen Staatskapelle unter Leitung von Dominic Limburg (als Gast) mit Verve und musikalischer Brillanz entfaltet. Der von metallisch gleißenden Ketten-Vorhängen und Wappen-Standarten umrahmte Thronsaal mit der im Spotlight agierenden Tudor-Herrscherin steht im Kontrast zum düsteren Gefängnis-Ambiente der schottischen Stuart (Bühne und Kostüme, der elisabethanischen Epoche nachempfunden, von Jürgen Franz Kirner).

Handlungsrasanz und dramatische Intensität

Die Entscheidungen fallen im zweiten Akt, der an Handlungs-Rasanz und dramatischer Intensität kaum zu überbieten ist. Da fesselt beim Zuschauen das Männer-Duett mit Ledian Soto als Graf von Leicester und Leonid Leontev als Mortimer. Beide vereinen sich scheinbar einvernehmlich unter dem Kruzifix, dem Symbol der französisch-katholischen Antitudor-Partei, zugunsten Marias. Aber feine Tanz-Nuancen verdeutlichen, dass der geschmeidig-schmeichlerische Leicester ein charakterlich übler Verräter sein wird. Und dass der verliebte, jugendlich übereilte, auch im Tanz draufgängerische Mortimer mit seinem Attentat auf Elisabeth scheitern muss.

Die spannungsgeladene Konfrontation der beiden königlichen Frauen bildet den dramatisch zugespitzten Höhepunkt des Tanzabends. In einer Art Gehörlosensprache fuchteln sie zunächst kniend von Angesicht zu Angesicht aufeinander ein. Dann springen sie auf und wirbeln erregt auf ihre jeweiligen Unterstützer zu. Elisabeth ist empört und außer sich. Maria dagegen scheint eine gewisse Genugtuung noch im Untergang auszustrahlen. Gegenseitige Beleidigungen haben zum endgültigen Bruch geführt. Nun wird die Tudor-Königin das von ihren Räten längst geforderte Todesurteil gegen ihre schottische Cousine unterzeichnen. Als Maria, jetzt im blutroten Schleppen-Kleid, ein Stück weit noch von ihrer Zofe (Francesca Berruto als Hannah Kennedy) geleitet, hoheitlich würdevoll, erwartet vom Henker, die Stufen zum Schafott hoch schreitet, tritt minutenlange Stille ein. Die Zuschauer im ausverkauften Theater halten den Atem an. Dann ein durchdringender Schrei und das klangliche Aufbäumen des Orchesters.

Darüber hinaus dürfen bei der Betrachtung des zweieinhalbstündigen Ballett-Abends die zahlreichen Tanz-Preziosen nicht vergessen werden – die sinnlich schwebenden, verliebt-romantischen oder vor Falschheit triefenden Pas de deux (Elisabeth und Leicester, Maria und Leicester) mit ihren Drehwirbeln, zärtlichen Berührungen und triumphalen Hebefiguren. Auch die frischen Ensembles der Mädchen und lebhaft wilden der jungen Männer, die als Turnier-Herren über den wuchtigen Sitzungstisch des königlichen Kabinetts hinweg fegen, sind in dieser Ballett-Produktion eine Augenweide.

Gewiss waren die aufwändige Choreographie und Inszenierung ein Wagnis, ein Abenteuer, das am Premieren-Abend mit Bravour bestanden wurde.