Die Tänzerin Fumiyo Ikeda sucht nach „vergangenen Choreografien“, schreibt das Programmheft. Sie tanzt ausdrucks- und bewegungsstark, ihre Ausstrahlung, ihre Erzählkraft fasziniert, aber das Suchen ist nicht zu spüren. Maja Dhondt und Katrijn Friant spielen Mozarts „Requiem“ arrangiert für vierhändiges Klavier auf höchstem Niveau und mischen sich sehr sanft hier und da ins Spiel ein. Die Schauspieler:innen sind vor allem für Wort-Inseln in dieser Wildnis aus Ritualen, Bewegungen und Bildern zuständig: Risto Kübar erzählt, in englischer Sprache, vom Haus Rechen, einem Bochumer Adelssitz, das früher dort stand, wo nach dem Krieg die Kammerspiele gebaut wurden, und den Geisterlegenden, die um dieses Haus ranken.
Jing Xiang experimentiert mit Wünschelruten, die helfen sollen, „wichtige Fragen“ zu beantworten, und holt dafür einen Zuschauer auf die Bühne; und Marius Huth rezitiert vor geschlossenem Vorhang einen Ausschnitt aus einem Essay von Ursula K. Le Guin. Die feministische Fantasy-Autorin postuliert hier, dass nicht die Waffe die zentrale kulturelle Erfindung der Urzeit sei, sondern das Gefäß, um das Erhaltenswerte zu erhalten.
Soziale Kraft von Erinnerungen
Am diesem Abend geht es um die soziale Kraft von Erinnerungen an sich, vielleicht auch um das Verschwinden der Magie im gesellschaftlichen Leben. Obwohl das klar wird, wirkt die Vorstellung an vielen Stellen provisorisch, nicht wirklich fertig gedacht, erscheint die Struktur unklar und nicht tragfähig. Die Bühne von Jozef Wouters, die sich an der Fassade des Hauses Rechen orientiert, wird von den Darsteller:innen immer wieder umgestaltet, wir wissen nicht, warum. Viele Requisiten und Kostüme, viele dramaturgische Richtungsänderungen sind unverständlich, und das liegt nicht an den Darsteller:innen.
Konkrete Begegnungen
Trotzdem hat diese Schöpfung des jungen Regisseurs und Kostümbildners Benjamin Abel Meirhaeghe eine bannende Intensität, die fesselt und fasziniert. Weil die beschworene soziale Kraft sich auch im Spiel äußert, in den konkreten Begegnungen der Darsteller:innen auf der Bühne, in der Ansprache des Publikums. Hier ist alles genau und vor allem sanft gesetzt. Eine respektvolle Berührung – „Touch, sweet touch“, musikalisch, immer wieder zu hören – ist in diesem freundlichen, respektvollen Theaterkosmos sozusagen das Ideal. Vielleicht ist es künstlerisch einfach eine gute Welt, die dieses Chaos gebiert. Vielleicht ist das schon genug für eine Theateraufführung im 21. Jahrhundert. Auf jeden Fall wärmt es das Rezensentenherz.