Max Landgrebe als einer von drei Gregor-Figuren in „Die Verwandlung“

Mehrfach-Verfremdung

nach Franz Kafka: Die Verwandlung

Theater:Deutsches Nationaltheater Weimar, Premiere:04.02.2021Regie:Juliane Kann

Auf der Bühne wird kaum ein Wort gesprochen, jedenfalls nicht live. Drei Schauspielern fliegen ihre Rollensätze mal von da, mal von dort zu – aus dem Off. Als wäre das noch nicht künstlich genug, gehen Spiel und Sätze nicht direkt ans Publikum, sondern vermittelt durch die Kamera einer gestreamten Premiere. So kommt Juliane Kanns Inszenierung am Deutschen Nationaltheater daher – als Verfremdung der „Verwandlung“.

Normalerweise muss der Zuschauer zur Studiobühne bis hoch unters Theaterdach steigen, das immerhin erübrigt sich, den Computer anzumachen reicht. Der aber zeigt keine Übertragung eines Bühnenschauspiels, sondern die Verfilmung desselben durch Christoph Hertel. Zu Beginn raunt „Als Gregor Samsa aus jammervollen Träumen erwachte…“ durch den Raum, ein Satz, dem man in der folgenden Stunde noch oft und in Varianten begegnen wird. Dazu bewegt sich zunächst ein Mann in himmelblauem, taschenübersäten Überlebensanzug (Kostüme: Josephin Thomas) zwischen Bank und Pförtnerhäuschen, an dem natürlich ein Desinfektionsmittelspender angebracht ist (Bühne: Marie Gimpel).

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Dreimal gibt es diesen Gregor (Isabel Tetzner, Thomas Kramer, Max Landgrebe), identisch mit langem, gelgebändigten Haar, langem Schnäuzer und Brille. Sie werden sich begegnen, voreinander verstecken, dasselbe oder Diverses tun. Doch selten aus eigenem Antrieb: Die Kamera bringt beziehungsweise schneidet sie zusammen, trennt oder überlagert sie. Sprechen sie miteinander, dann in drei Videokästchen, wie man sie von Zoom- oder Telegram-Treffen kennt.

Das ist, na klar, Kritik oder zumindest süffisante Anmerkung zu gerade angesagten Kommunikationsformen. Doch nicht die (gelungene) filmische Umsetzung ist das Problem dieser Inszenierung, sondern, dass sie total überfrachtet ist. Das beginnt schon mit dem „Sanatorium Hoffmann“, vor dem alles spielt, in dem es „Schließzeiten“ gibt; dazu vor dem Pförtnerhäuschen eine Kamera: Überwachungsstaat. Sechs Pappschlüssel spielen eine ungeklärte Rolle; der Käfer, zu dem Gregor geworden ist, hängt sechsfach aufgespießt in einem Schaurahmen. Die Uhr bleibt, auch umgestellt, auf 00:00; das Radio plärrt.

Erschwerend kommt hinzu, wie die auch für die Dramatisierung zuständige Regisseurin mit Franz Kafkas Text umgeht. Entweder bekommt man nur Satzhäppchen serviert, gerne wiederholt, gerne von „sprechenden“ Gesten begleitet. Oder die drei Schauspieler sind zur Kafka-Exegese angehalten, teils wie in der Schule: „Er ist zwar ein Tier, aber immer noch ein Mensch“, heißt es da, „schickt ihm eine Umarmung. – Das ist aber nicht dasselbe.“ Damit ist Kann dann wieder bei der Verständigung per Emojis und Chats. Aber es geht auch ins Oberseminar: Der eine Gregor beschwert sich, dass seit Freud alle psychologisieren, ein anderer fragt, ob Gregor ein Opfer sei und setzt hinzu: „Die anderen haben das größere Problem“. Das ist weder Analyse der Erzählung noch sind es gelungene Assoziationen zu Kafka, sondern Sätze, die das Publikum vom Denken ausschließen – und in der Frage gipfeln: „Steht Gregor auf seine Schwester?!“. So wird das Original zum reinen Accessoire.

Dazu gibt es bräunliche Pappstreifen als Kaffee, wird an nicht vorhandene Fensterscheiben gehämmert, das Einstecken eines Steckers wird zur Großaktion. Auch 60 Minuten können so sehr lang werden, sogar mit einem Kafka-Text. Am Ende machen die drei Schauspieler, die kaum wirken dürfen, das Beste: Setzen sich in den leeren Zuschauerraum und hören Ulrich Matthes im Radio zu, wie er, na klar, „Die Verwandlung“ liest.