Foto: Szene mit Kate Allen, Alejandro Marco-Buhrmester und dem Opernchor des Staatstheater Augsburg © Jan-Pieter Fuhr
Text:Wolf-Dieter Peter, am 25. März 2019
Er war mehr als der „Bärliner“ in seiner berühmten Berliner Rede – John Fitzgerald Kennedy wirkte in den 1960ern inmitten von vielen Politgreisen wie eine Lichtgestalt. Heute würde man sagen: mediensmart. Doch er sprach auch anders, zielte auf andere Inhalte und Werte. Er besaß Charisma und so wissen viele, wo sie – vergleichbar den Ereignissen „Mondlandung“ oder „9/11“ – die Nachricht von Kennedys Ermordung in Dallas am 22. November 1963 erreicht hat.
Trotz vieler enthüllender Dokumentationen umgibt das fotogene Paar „Jack und Jackie“ mitsamt der „Camelot“-Anspielung auf das von ihnen geprägte Weiße Haus bis heute eine Aura des Besonderen. Michael Daughertys „Jackie O“-Oper von 1997 blieb Episode. US-Komponist David T. Little und sein kanadischer Librettist Royce Vavrek beschränken sich in ihrem Auftragswerk für die Oper von Fort Worth auf jene letzte Nacht, die das Paar vom 21. auf den 22. November dort verbracht hat, ehe es nach Dallas aufbrach: in „31 Momenten und einem Prolog“ entrollen sie ein zweistündiges Traum-Psychogramm der schwierigen Ehe und beziehen Kennedys Lieblingsgedicht mit ein: Alan Seegers „Hab mit dem Tod ein Rendezvous / Bei Nacht, in einer Stadt, die brennt… / Dies Rendezvous verpass ich nicht.“
Diese Vielzahl von Szenen angesichts der grundlegenden Sanierung und Renovierung des großen Hauses in der zwar inzwischen etablierten Ausweichspielstätte „Martini-Park“, also ohne wirkliche Seiten- und Hinterbühnen? Tollkühn – und frappierend gelungen! Regisseur Roman Hovenbitzer und sein Bühnen-Video-Duo Natalia Orendain del Castillo und Paul Zoller haben über die Stilebene „phantastischer Realismus“ hinaus – in der also Realität, Erinnerung und Traum ineinander verfließen können – aufgegriffen, dass Kennedy der erste „Fernseh-Präsident“ war: Er führte nicht nur das erste TV-Duell der Präsidentschaftskandidaten souverän gegen „Tricky DicK“ Nixon, sondern brillierte auch in den erstmals öffentlich übertragenden Pressekonferenzen mit Witz und Ironie. Und als letzte Steigerung gab es die filmreifen Auftritte mit der zur Stil-Ikone geformten Jackie.
Folglich beginnt die Augsburger Inszenierung an einem Regietisch direkt hinter dem Orchester. Dort sitzt ein auch mehrfach auf der Bühne mitspielendes Duo, gibt ein lautloses „Action!“-Zeichen, lässt originale Film-Dokus auf den dann vielfach verschieb- und drehbaren Wandteilen per Projektor loslaufen – und unter der Decke leuchtet rot „REC“ auf: Wir erleben die Aufzeichnung einer neuen Spiel-Doku um „JFK“ mit. So sind die Verschränkung von Szenen, ihr frappierend fließender Übergang und per Lichtwechsel auch der Wechsel von Vision sowie Wirklichkeit möglich. Immer wieder liegt der Rückenschmerzen-geplagte, Stützkorsett-tragende Kennedy wie Revolutionär Jean Paul Marat in der Badewanne, sitzt auf der Rückbank des späteren Attentatswagens, lässt sich die Morphium-Spritze setzen, tritt kurz an ein Rednerpult oder umarmt zwischen zwei Schiebewänden ein Marilyn-Monroe-Double. Da kann Chruschtschow mit Bär und Wodka-Orgie als Alp hereinplatzen. Dazu kontrastiert der „Cheer-Girl“-Auftritt der später hirnoperierten Schwester Rosie. Da entlarvt sich Vizepräsident Lyndon B. Johnson als hemdsärmeliger Texaner, umgeben von brüllenden „Red Necks“ mit einem Hauch von Hill-Billy und einer Freiheitsstatue, die sich als Strip-Girl entpuppt; Übervater Joseph Kennedy tritt als Riese auf Stelzen auf…
Diesen Revue-nahen Szenenfluss, zu dem Kinder- und Erwachsenen-Chor (Einstudierung Carl Fromherz und Stefan Steinemann) als oft gesichtslose US-Bürger auch aus dem Parkett auftreten, unterbricht mehrfach der Regietisch mit „CUT“. Die Filmbild-„Spinnerin“ betritt als Betreuerin Clara die Szene und der messende „Allotter“ steht als Secret-Service-Mann Rathbone dezent im jeweiligen Hintergrund – ein Hauch von Schicksalsboten umgibt sie, zu denen dann der „Cutter“ im grellen Kostüm eines Mardi-Gras-Todes tritt und am Ende triumphierend den Finger hebt.
Komponist Little bietet für diese Fülle ein großes, spätromantisches Orchester auf, bereichert um Klavier, Xylo- und Vibraphon, Glockenspiel, Gongs und anderes raffiniertes Schlagwerk bis zum amerikanischen „Banger“-Rohr. Er schreibt dominant tonal und harmonisch, enttäuscht damit alle Modernisten und macht das Werk musiktheatralisch sofort zugänglich. Auf immer wieder breit liegenden Streicherflächen von zwei, drei Tönen erheben sich die weitgehend sehr sanglich, damit auch textverständlich geführten Singstimmen. All das breitete Dirigent Lancelot Fuhry mit den Augsburger Philharmonikern klangüppig aus.
Dramatische Ausbrüche von der von Zweifeln und Leiden an den Affären Jacks geplagten Jackie werden auch mal schrill, aber ihre große Klage-Szene rührt an, beeindruckend gesungen von Mezzosopranistin Kate Allen. Im Verlauf der zweistündigen Szenenfolge wird nur ein zentrales Manko des Werkes klar: Die titelgebende JFK-Figur hat keine beeindruckende Szene – das konnte auch Bariton Alejandro Marco-Burmester nicht ändern. Dass Komponist Little um die Wirkung großer Szenen weiß, zeigt er dann in einer Hommage an die europäische Operntradition: in einem dramaturgischen Kunstgriff führen er und Librettist Vavrek Jackie Kennedy und daneben sie als spätere Jackie Onassis (Mezzosopranistin Natalya Boeva) sowie Clara (Sopranistin Sally du Randt) zusammen. Dieses gewollt an „Rosenkavalier“ anknüpfende Terzett geriet zum Schmerz durchzogenen, vokal schwelgerischen Höhepunkt des Abends. Einhelliger Beifall für ein nachspielenswertes Werk, dem das Autoren-Duo nur eben eine zentrale Szene der Hauptfigur einarbeiten sollte: damit „JFK“ als der beeindruckt, den Willy Brandt einst treffend charakterisiert hat: als „vorwärtsgewandter Mann“.