Foto: Bereit für die Kamera. © Björn Klein
Text:Manfred Jahnke, am 23. März 2025
Stas Zhyrkov inszeniert am Schauspiel Stuttgart die Uraufführung von Maryna Smilianets‘ „Willkommen am Ende der Welt“. Das Stück schafft es, den Alltag in Kriegszeiten mit ein wenig Hoffnung und gelebter Menschlichkeit zu verbinden.
Am Schauspiel Stuttgart findet gerade das Europäische Theaterfestival „Achtung Freiheit!“ mit Gruppen aus Warschau, Prag und Kiew statt. Das Schauspiel selbst hat zu diesem Festival eine Uraufführung herausgebracht: „Willkommen am Ende der Welt“ der jungen ukrainischen Autorin und Filmemacherin Maryna Smilianets, seit 2022 als Artist in Residence in Stuttgart. Die Karaokebar, in der Patrick als Barkeeper und Marta als Kellnerin arbeiten, steht nicht am Ende der Welt, aber irgendwo im Abseits. Sie ist Ort merkwürdiger Begegnungen, bis dann Sirenen ertönen, die von einem drohenden Atombombenabwurf künden.
Luftschutz-Bar
Lorena Díaz Stephens und Jan Hendrik Neidert haben hinter einer Glasfront ein schäbiges Barambiente mit roten kunstledernen Sesseln – wie Rot überhaupt dominierende Farbe ist – geschaffen. Mit vielen Spiegeln, in der sich die Videos brechen, die Felix Jordan als Patrick mit seinem Handy aufnimmt. Wenn der Alarm ertönt und sich der Raum in einen Luftschutzbunker verwandelt, wird die Decke herabgelassen und das Ensemble verdeckt die Glasfront mit langen Brettern. Mit dem Auftritt von Lisa, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchtet ist und Filmregie studiert, verändert sich die Handlungsstruktur.
Das Ensemble soll vor ihrer Kamera eine Geschichte erzählen, in der man von einem Versäumnis aus der eigenen Vergangenheit berichtet. Lisa, die in gewisser Weise ein Alter Ego der Autorin ist, möchte dabei nicht Leiden für die Nachwelt festhalten, sondern Geschichten, die Mut machen, erzählen. „Ich hoffe, dass dieses Stück eine Art gemeinsame Therapie sein kann.“, sagt Smilianets in einem Interview, das im Programmheft abgedruckt ist.
Liebe zum Detail
Die Uraufführungsinszenierung des ukrainischen Regisseurs und Theaterleiters Stas Zhyrkov spürt nach, wie Menschen auf eine Extremsituation reagieren. Auftritte aus dem Zuschauerraum heraus verdeutlichen, dass die Geschichten, die auf der Bühne verhandelt werden, auch das Publikum selbst betreffen. Und er liebt seine Figuren, wie seine Personenregie zeigt.
Wie er bei der Marta von Teresa Annina Korfmacher im schwarzglänzenden Hosenanzug die komischen wie tragischen Wesenszüge nachspürt, zeugt von großer Menschenkenntnis. Sie träumt von einer Gesangskarriere. Gerade hat sie eine Einladung zu einem Gesangswettbewerb erhalten, der sie auf Grund der Situation nicht mehr folgen kann. Sie traut ihrer Stimme nicht, aber zusammen mit Patrick überwindet sie ihre Scham: „Stand by me“ wird zum befreienden Song (Musik: Bohdan Lysenko).
Ein Ende mit Hoffnung?
Alle Figuren folgen einem therapeutischen Ansatz. Sei es das skurrile Rentnerpaar Laura und Franz, die sich zum ersten Date treffen, von Boris Burgstaller und Anke Schubert so komisch, wie anrührend herausgespielt. Sei es die Veronika der Pauline Großmann, die sich mit Viktor, von Klaus Rodewald als jovialer Typ verkörpert, trifft, nur, weil er ihrem Vater ähnlich sieht und sie sich endlich einmal aussprechen möchte. Oder Peer Oscar Musinowski als aasiger Adam.
Dieses kuriose Figurenkabinett verwandelt sich mit den Alarmsirenen und Qualm, der von außen zu sehen ist, in eine Gemeinschaft, in der die Angst bis hin zum Galgenhumor vorherrscht. Mit dem Auftreten der Lisa, von Pauline Großmann wuschelig als Regiestudentin, die genau weiß, was sie will, angelegt, verändert sich der Dialog ins Monologische, wobei sich die privaten Erzählungen der Akteure gegen Ende hin immer mehr ihrer Situation zuwenden: Gibt es noch einen Hoffnungsschimmer? Ist das Ende der Welt ein Faktum? Oder zeigt sich nicht in der Geschichte der Welt, dass sie sich immer neu generiert hat?
Der Text von Maryna Smilianets und die Regie von Stas Zhyrkov sind geprägt von ihren Erfahrungen in der Ukraine, von Krieg und einem Alltag in Angst. Zugleich spiegeln sich in den Fragen der Lisa ein tiefer Humanismus, eine wahre Liebe zum Menschen. Ein Theaterabend ist entstanden, der das Publikum in ein Wechselbad der Gefühle schickt, Komödie und Tragödie in einem.