Regisseur Mirko Schombert erweckt Mariana Lekys Roman „Was man von hier aus sehen kann“ mit subtilen Handkniffen zum Leben: Der Zeitgeist der frühen 2000er Jahre kündigt sich durch Kleidung (Bühne und Kostüme: Jörg Zysik) mit bunten Leggings und Blümchenkleidern à la Tchibo an. Der Song „Das Zelt“ von Jeans Team füllt das Theater mit der Erinnerung an die Neue Deutsche Welle und der Sehnsucht nach der unbekannten Ferne. Alles nach dem Motto: Wenn du live dabei warst, dann weißt du Bescheid.
Das Bühnenbild zeigt sich bescheiden und pragmatisch. Umbauten gibt es nicht. Stattdessen kreative Lösungen, Orte und Entfernungen auf einer reduzierten Bühne darzustellen. Alles spielt unter einem eisernen Gerüst, das an ein Festzelt erinnert. Darin versteckt sind Mikrofone und Leuchtröhren, die mithilfe von Lichteffekten und Geräuschen eigene Kulissen schaffen. Eine schöne Parallele zur Handlung, die auf dem begrenzten Raum der Dorfgemeinschaft immer neue Wendungen einführt.
Wenig Zeit für Emotionen
Im Zentrum der Inszenierung steht Luise (Christine Schaller), die zum Großteil bei ihrer Oma Selma (Regine Gebhardt) und deren Freund, dem „Optiker“ (Arno Kempf), aufwächst. Die unglücklich verheirateten Eltern haben kaum Zeit für sie. Als dann auch noch Luises bester Freund Martin (Markus Penne) vor ihren Augen aus dem Regionalzug fällt und stirbt, gerät ihr Leben aus den Fugen. Zumindest für ein paar Wochen. Danach scheint von diesem Kindheitstrauma kaum noch etwas übrig zu sein. Das Leben im Dorf geht einfach weiter.
Und das ist auch der Knackpunkt dieser Inszenierung. Sie gibt wenig Raum für tiefer gehende Gefühle. Stattdessen verlässt sie sich auf Situationsbeschreibungen und -Komik. Das ist bestimmt auch der Fülle an Romanhandlung geschuldet. Mehr als 20 Jahre Lebensgeschichte sollen hier in rund 2 Stunden Theater passen.
Wenn doch einmal ein bewegender Moment anklopft, wird er durch die einschneidende Erzählperspektive von Luise aufgebrochen. Deutlich wird das vor allem, wenn sie mit 22 Jahren ihren Love Interest Frederik trifft. Die beiden verstehen sich gut, interagieren miteinander. Dann stehen sie plötzlich drei Schritte entfernt, bewegungslos, dem Saal zugewandt: „Frederik berührte meine Schulter“, sagt Luise. Statt dem Publikum darstellerisch zu zeigen, was in ihr vorgeht.
Ein Hoch auf das Ensemble
Anders sieht das bei den Nebencharakteren aus. Wenn Selma mit über 90 Jahren immer vergesslicher wird und schließlich kurz vor dem Tod steht, spricht die Verzweiflung des Optikers laut und deutlich aus all seinen Poren. Er versucht, Selma alles zu sagen, was er ihr jahrelang verschwiegen hat. Er klaubt wie im Wahn all seine Liebesbriefe und Papiere zusammen und legt sie wieder und wieder in Selmas Schoß. Auch Jan Exner, der gleichzeitig Luises und Martins Vater spielt, erzählt wenig und zeigt viel. Teilweise sogar aus dem Off, wo er neben seinen Schauspielrollen auch noch die Soundeffekte und musikalische Atmosphäre mit E-Gitarre und Loopmaschine generiert. Die wohl beeindruckendsten Rollenwechsel zeigt Christiane Wilke, die nur mithilfe eines Haarclips zwischen der abergläubischen Dorfbewohnerin Elsbeth und Luises zerstreuten Mutter wechseln kann. Gegen solch ein dynamisches Ensemble kommt auch die einschneidenste Erzählperspektive nicht an.