Foto: Die Küche als Schlachtfeld. © Falk Wenzel
Text:Michael Laages, am 18. April 2025
Erstmals inszeniert die Schauspielerin Sandra Hüller mit Tom Schneider (FARN-Theaterkollektiv): Am neuen theater Halle erzählt sie MarDis (Marie Dilasser) „Penthesile:a:s“ und bittet alle zu Tisch.
Seit bald zehn Jahren ist die im Kino weltweit erfolgreiche Schauspielerin Sandra Hüller auch Teil des kreativen Theater-Kollektivs, das sich FARN nennt. Der Regisseur und Choreograf Tom Schneider gehört dazu und auch der Musiker Moritz Bossmann. Eng verbunden ist die Gruppe seit langem mit dem Schauspielhaus in Bochum und dem Schauspiel in Leipzig. Immer war Hüller die FARN-Protagonistin. Jetzt allerdings firmiert sie erstmals (und neben Schneider) als Regisseurin in einem Projekt des Kollektivs. Es ist mit dem Ensemble vom neuen theater Halle entstanden und heißt „Penthesile:a:s“, sehr frei nach Heinrich von Kleist und völlig neu erzählt von der französischen Dramatikerin MarDi (Marie Dilasser).
Vor vier Jahren wurde das Stück uraufgeführt beim Festival in Avignon. In Halle gibt es nun die deutschsprachige Erstaufführung, eine Neuerzählung der Geschichte jener Begegnung zweier Menschen im Krieg um Troja. Heerführer Achill und die Amazonen-Königin Penthesilea sind ja beim Dramatiker Kleist ausweglos unentschieden verstrickt zwischen Schmerz und Begehren. Aber sie sind nur der Impuls für das, was MarDi im Hier und Heute heute diskutieren will.
Utopie im großen Stil
Stereotypen werden versammelt, wie sie den Kampf der Geschlechter geprägt haben seit ewigen Zeiten und bis heute. Aber nur, um sie endgültig zu verabschieden, sie final zu überwinden. Die Geschichte der „Penthesile:a:s“, der vielen Frauen also, die an irgendeinem Moment des Lebens zu Kriegerinnen werden mussten gegenüber kriegerischen Männern, entwickelt sich sehr schnell zum Spiel mit einer Utopie: Wie, wenn die Generationen nach uns es schaffen würden, dass männliche und weibliche Prinzipien einander ernsthaft durchdringen. Etwa so, als wenn Haut auf Haut gelegt wird und die Zellen miteinander verschmelzen könnten? Aus dieser Verschmelzung könnte dann etwas wirklich ganz Neues entstehen. Etwas, das gar nichts mehr weiß (und schon gar nichts mehr wissen will) vom Trennenden, das zuvor das Dasein dominierte. Und wie, wenn in diese große Kommunion menschlicher Wesen dann auch Tiere und Pflanzen einbezogen werden könnten – also alles, wirklich alles, was lebt?
Hier sollen eben nicht nur, wie noch bei Schiller, alle Menschen Brüder werden (und Schwestern natürlich auch). Hier wird ein sehr viel weiterer Horizont der Utopie vermessen. Die französische Dramatikerin, 1980 in Brest geboren und in der literarischen Szene der französischen Nachbarinnen und Nachbarn seit langem eine feste Größe, will in der Überschreibung von Kleists „Penthesilea“-Geschichte tatsächlich niemanden und überhaupt nichts ausschließen von der großen Vereinigung.
Da hat sich MarDi natürlich wirklich viel vorgenommen. Wie ließe sich das auf der Bühne darstellen, ohne bloß ein Spiel der Gedanken und Träume zu bleiben; ohne Papier und Pamphlet pur zu sein?
Küchenschlacht
Die Inszenierung von Sandra Hüller und Tom Schneider wählt einen erstaunlichen Weg und setzt der abstrakten Energie des Textes die Abstraktion von Bühne und Spiel entgegen. Die zwölf Schauspielerinnen und Schauspieler vom Ensemble des neuen theaters sitzen zu Beginn vor der ersten Reihe des Publikums und sprechen Texte, auch die von der ewigen Wiederkehr des Krieges um Troja, vom Blatt und ins Mikrophon. Auf der Bühne ist dabei schon der Raum zu ahnen, den Nadja Sophie Eller entworfen hat: eine sehr realistische, gut ausgestattete Küche.
In 80 Spiel-Minuten werden sich die Darstellerinnen und Darsteller immer öfter in diese Küche hineinbegeben und die Fantasie der Autorin dorthin mitnehmen. So bleiben die zwei zentralen Bewegungen immer parallel: die Gedanken über Geschlechter- und andere Kämpfe der Geschichte, deren erreichbares Ende und die Rituale des Alltags in der Küche. Irgendwann treibt die sehr fein organisierte Choreografie das Kollektiv der Spielenden wie eine kleine Mensch-Maschine voran, treibt sie in gut erkennbare Wiederholungen hinein. Wenn etwa einer der Spieler zur Trompete greift, wird klar, dass jetzt die neue Runde beginnt.
Tischgemeinschaft
Generell ist der Abend enorm musikalisch grundiert – sowohl Moritz Bossmann als auch Tom Schneider sind Musiker. Sandra Hüller bindet diese Musikalität in Text und Ton des Ensembles. Und im Finale – wenn die Utopie vom Zusammensein aller mit allen und allem ausformuliert ist – ist in der Küche dann auch die Suppe fertig gekocht. Das Ensemble hat Tische und Stühle quer in den Theatersaal gebaut und lädt uns, das Publikum, zum gemeinsamen Essen ein. Das ist keine wirklich neue Idee, führt aber die Abstraktionen des Abends zueinander: die visionären Texte der Gedanken und die Rituale der choreografischen Küchenwelt. Und wir, die wir Lust aufs Suppe-Löffeln haben, sollen uns möglichst als Transmissionsriemen empfinden: Für jene Transformation, die die Autorin für unverzichtbar erklärt, und überlebenswichtig …
MarDis Träume haben gelegentlich die Tendenz, ein wenig neblig vor sich hin zu wabern. Die Arbeit vom FARN-Kollektiv mit dem sehr eindrucksvollen Ensemble in Halle fängt den Nebel aber wieder ein. Und entlässt uns durchaus ein bisschen ermutigt – das ist doch schon mal was!