Intimitäten mit Technik
Die Cyborg ist dann auch das Bindeglied zum zweiten Stück: „Prothesen der Autonomie“ des Frankokanadiers Thierry Tidrow – für Mezzosopran und ein vierköpfiges Instrumentalensemble aus Violine, Cello, Akkordeon und Synthesizer. Darin entwickelt der Komponist mit der Librettistin Franziska vom Heede ein Zukunftsszenario, das auf einem post-utopischen Matriarchat basiert, welches allen Menschen psychische Unversehrtheit garantiert. Damit befreit es auch alle Sängerinnen von ihrer emotional belastenden Arbeit, die an vermeintlich gefühllose Cyborgs outgesourct wird. Sie sollen gemeinsam mit anderen Maschinen für die Erfahrung „risikoloser Intimität“ sorgen, doch der Testlauf eines fehlerhaften Geräts zeigt: Hier stimmt etwas nicht.
Tidrow komponiert einen emanzipatorischen Befreiungsversuch der Cyborg (in ihrer emotionalisierten Überspanntheit leider etwas undifferenziert: Ani Aghajanyan), indem er sie einschlägige Klassiker des Repertoires (Mozarts Gräfin, Puccinis Cio-Cio San und Bergs Lulu) dekonstruieren und schließlich fragen lässt: Wieso soll ich denn schon wieder sterben? Mit der natürlichen Folge ihrer eigenen Demontage.
Der Abend ist kurzweilig und unterhaltsam, bleibt inszenatorisch aber leider hinter den Möglichkeiten der nicht nur inhaltlich interessanten, sondern auch vor musikalischem Witz und Esprit sprühenden Stücke zurück: Die Sängerinnen – Studierende der Gesangsabteilung des Fachbereichs darstellende Kunst an der HfMdk Frankfurt – zeigen vollen Einsatz, große Spielfreude und vor allem ein beeindruckendes Spektrum ihres stimmlichen Könnens. Auch die Instrumentalist:innen sind Studierende: Sie erschaffen erstaunliche orchestral wirkende Klangwelten und lassen die Kompositionen in ihrer Ausführung regelrecht brillieren.
Zukunft ohne Innovation
Die Regie (Franceso Rescio) jedoch bleibt letztlich ästhetisch konservativ – sowohl in ihrer Interpretation als auch in der Wahl der dazu eingesetzten Theatermittel. Sie verlangt zunächst ein naturalistisches Spiel von den Performer:innen, wo sich dieses doch an der dem Musiktheater immer schon immanenten Artifizialität reiben muss. Diese Reibung ist kontraproduktiv und so stark, dass sie leider die in beiden Stücken angelegte, spannende selbstreflexive Reibung an der eigenen Kunstform in den Hintergrund treten lässt.
Mit einer überstrapazierten Kastrationsmetaphorik (Valerie’s Voice) und einer hyperaffektierten Dramatisierung im Ausdruck (Prothesen der Autonomie) reproduziert die Regie genau jene Klischees von Weiblichkeit in der Darstellung von Frauenfiguren in der Oper, die die Stücke selbst so klug zu demontieren versuchen. Gerade das subversive Potenzial der Cyborg („Prothesen der Autonomie“), aber auch die aufregende und kompromisslose Radikalität von Valeries titelgebender Stimme wird so nicht nur nicht produktiv operationalisiert, im Gegenteil. Der Blick der Regie auf die Inhalte der Stücke ist eben kein feministischer, empowernder oder auch nur einer, der die thematisierten Problematiken ernstnimmt. Er lässt wenig Raum für die den Stücken inhärente Ambivalenz und weist den Hauptfiguren klare Rollen zu: Während die Cyborg einzig leidendes Opfer ist, wird die Wissenschaftlerin zur unerbittlichen Täterin stilisiert. Damit wird die Regie der Komplexität der Stücke in Inhalt wie in ihrer Form nicht nur nicht gerecht, sie verkehrt sie in ihr Gegenteil.
Vielleicht ist es am Ende eben doch zu problematisieren, dass die Produktion stark männlich dominiert ist: Regie (Franceso Rescio), musikalische Leitung (Günther Albers), Bühne und Kostüme (Maik Wendrich) wurden von Männern getragen; einzig die Dramaturgie des Abends lag in der weiblichen Hand der künstlerischen Leiterin des Musiktheaters (Ann-Christine Mecke). Diese Schieflage stellt sich hier nicht nur als reine Frage der Quote oder von Geschlechter(un)gerechtigkeit im öffentlich getragenen
Kulturbetrieb dar. Sie scheint durch und problematisiert sich in der ästhetischen Verortung des Abends selbst, aber eben nicht in Form eines bewussten und proaktiven Nachdenkens über die eigenen Privilegien – dazu hätten die Stücke jede Möglichkeit gegeben –, sondern vielmehr unfreiwillig, indem er wie selbstverständlich konventionalisierte Darstellungsmodi des Musiktheaters reproduziert.
Bemerkenswert ist aber die Positionierung des Hauses – beziehungsweise der künstlerischen Leitung – sich dezidiert gegen Uraufführungen entschieden zu haben, sondern bereits vorhandenen zeitgenössischen Stücken die Möglichkeit einer Existenz über die eigene Uraufführung hinaus zu geben. Darin scheint kein reiner Selbstzweck zu liegen, sondern sich der ambitionierte Versuch zu äußern, die Spielpläne und damit auch das Repertoire um relevante Stücke der Gegenwart zu erweitern – eine Entwicklung, die durchaus zu begrüßen wäre.