Gebrochen wird der längste Teil dieser insgesamt siebzigminütigen Aufführung mit Referenzen auf eine Siebziger-Jahre-Bewegung in Dänemark, in der das soft-pornographische Film-Bild eine Legalisierung erfuhr. Exkremente Ade!: Die Porno-Queen, die Ingvartsen jetzt gibt, räkelt sich Beine grätschend in Luft-Schokolade. Da sind auch Assoziationen zu Woodstock-Schlammbädern nicht weit. Diese wiederum triggert Ingvartsen nur über Kopf schwingende Hippie-Ekstase mit Körper auf Bühnen fallenden Rockstar-Allüren an. Auch Pobacken-Schüttler à la Josephine Baker, Radschlagen à la Cancan kontrastiert mit Armbewegungen à la Abba stellen den vornehmlich männlichen (kolonialen) Blick auf Weiblichkeit hier als ein Teil der Tanzgeschichte zur Schau. Die wild überbordende psychodelische Freiheitsmusik, die dazu gespielt wird, reizt trotz analytischer Quintessenz zum inneren Mitschwingen.
Während die ersten beiden Teile von „21 pornographies“ noch durch Mette Ingvartsens englischsprachigen literarischen Beschreibungen und Regieanweisungen begleitet werden, kommt der letzte beinahe ohne Sprache aus. Die Choreographin leitet zunächst verbal in ein Kriegsgefangenen-Setting ein. Es folgt ein Zuschauernerven aufreibendes Spiel mit einer Neonleuchtröhre, dass unter Einsatz immersiv hämmernder Hardcore-Metall-Musik und Lichtblitzen in eine fünfzehnminütige Publikumsfolter übergeht, in der sich Mette Ingvartsen unablässig mit erhobenen Händen und durch eine Henkermaske anonymisiert um sich selbst dreht. Der gesprochenen Sprache und den suggerierten Phantasien kann man sich als Zuschauer entziehen, auch ohne den Raum zu verlassen. Die Körperlichkeit aber, die im letzten Teil von “21 pornographies“ zum Tragen kommt, beteiligt einen unmittelbar, auch ungewollt, am Geschehen. Es ist keine hohe Erkenntnis, die Ingvartsen hier walten lässt. Aber (leider) eine, die (immer noch) wirkt und zeigt, wie einfach Macht und Manipulation bei einem Publikum funktionieren, das seine politische Meinung jedenfalls nicht in Akten des Aufstehens und Rausgehens formuliert.
Auch „to come (extend)“, dessen Original von 2005 Ingvartsen von fünf auf fünfzehn Performer und Performerinnen erweitert hat, ist eine Art lebendiges Archiv politischer Tanzkörper. In zahlreichen Zitaten referiert Ingvartsen hier auf Richard Schechners „Dionysus in 69“, trennt aber (ent-)sexualisierte Bewegungssequenzen und Sound voneinander. Den längsten Teil dieser Aufführung verbringen die Performenden beinahe lautlos in blauen Ganzkörperanzügen, mit denen sie in einer Art White Cube Laboratorium sexuelle Handlungen zu bloßen Aktivitäten abstrahieren. Ihre Körper verschmelzen dabei immer wieder zum einem Kollektiv, das Erregungszustände radikal verlangsamt und extrem beschleunigt. Es folgt ebenfalls nackt, eine Chor-Szene, mit welcher die Atmung und Lautbildung beim Orgasmus ironisch unter die Lupe genommen wird. Nicht zuletzt wird in „to come (extended)“ die Tanz-Lust ausgespielt: Fünfzehn gut gelaunte Männer und Frauen tanzen mit selbstverständlicher Nacktheit in weißen Socken und Sneakern Lindy Hop. Dass da mehr als nur die Bühnenbretter wackeln, tritt hinter der hier zum Ausdruck kommenden Tanzfreude zurück.
Wer nach der affektiven Packung aus Schockstarre und freudigem Mit-Beschwingen noch Puste hatte, konnte im Roten Salon der Volksbühne der in Antwerpen unterrichtenden soziopolitischen Kunst-Philosophin Petra von Brabandt zum Thema „Wet Aesthetics: To Heat By Melting“ lauschen oder Filmvorführungen zu selbigem Thema wahrnehmen. Wie viel davon allerdings mitten in der Woche zur Geisterstunde noch hängen bleiben konnte, ist fraglich. Am U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz jedenfalls war an einem in Kopfhöhe bespiegelten und darunter in Gelb-Grau gehaltenen ehemaligen Schaffnerhäuschen auf Deutsch und Englisch zu lesen: „Frisch gestrichen / Wet paintig“. Nun ja.