Foto: Ensembleszene © Marion Bührle
Text:Dieter Stoll, am 9. Dezember 2016
Den ersten (stummen) Auftritt vor Beginn der großen Familientragödie gönnt der Regisseur den von Tante Maggie wenig später als „halslose Monster“ beschimpften vier Kindern in Winnetou-Kostümierung, den letzten (lautstarken) vor der abrupt ironischen Verklärung im amerikanischen Traum bekommt Big Daddy. Da hat das machtbewusst grantige Familienoberhaupt, das lange vor der Erfindung der Twitter-Kurznachricht mit dem Wort „Scheißdreck“ die Sippe regiert, einen federreichen Häuptlingsschmuck über die Nachtwäsche geworfen und verteilt Cowboy-Hüte an alle. Wilder Westen quer durch Zeiten und Generationen. Dazwischen der ambitionierte Versuch, das 60 Jahre alte und durchaus so betagt wirkende Bestseller-Drama von einst an verschwommenen Erinnerungen vorbei in neue Brisanz zu lenken. Wem sonst als Regisseur Georg Schmiedleitner, der am Nürnberger Schauspiel lange die Planstelle des virtuosen Provokateurs besetzte, hätte man das vor Ort zutrauen können. Er war in den letzten Jahren allerdings bevorzugt mit ganz großer Oper wie zuletzt Wagners „Ring des Nibelungen“ beschäftigt und hat bei der Rückkehr ins kleinere Format ein paar klotzige Metaphern-Souvenirs mitgebracht.
Die Story nach Antiken-Standard kennt man, unabhängig davon, ob noch Kino-Bilder von Liz Taylor im Langzeitgedächtnis gespeichert sind oder Reste von nebulöser Skandal-Ahnung aus weit zurückliegenden Schulplatzmiete-Zeiten krümeln. Zum 65. Geburtstag von Big Daddy, dem rabiaten Clan-Paten, wird das Schicksal im Familienbund aufgewühlt. Er weiß noch nichts von seiner Krebs-Erkrankung, wird es aber zum Höhepunkt der Festlichkeiten erfahren. Derweil rangelt die Folge-Generation (der ungeliebte Erstgeborene Gooper mit seiner ebenso frucht- wie furchtbaren Ehefrau Mae und der im Kummer-Suff gefangene Lieblingssohn Brick mit der „Katze“ genannten Partnerin Maggie) bereits ums Millionen-Erbe. Big Mama, von ihrem Mann verachtet und von ihren Kindern nicht ernst genommen, kann da nur mit wild entschlossener Ignoranz der heilen Welt hinterher trauern. Ein Netzwerk aus Konvention und Habgier, Hass und Verletzlichkeit hat Autor Tennessee Williams in seinem weltweit wohl erfolgreichsten Werk geknüpft. Im anhaltenden Dialog-Donnerwetter blitzt es hinein in die brüchigen Beziehungsgeflechte einer desolaten Gesellschaft, die das „Postfaktische“ längst zur Überlebens-Philosophie aufgewertet hat. Man sieht verzerrte Bilder und dämonische Schatten.
Georg Schmiedleitner räumt erst mal den Kulissen-Realismus der Entsteher-Jahre beiseite. Bühnenbildner Florian Parbs baute einen Kunstraum, der von hunderten Neonröhren (bei Bedarf flackernd wie ein Gewitter, das sich in der Stube entlädt) umschlossen ist, aber in diesem Rahmen wird unbeschwert Volldampf-Theater gespielt. Nicht ohne relativierende Klangwolke, denn am Szenen-Rand agiert Maike Hilbig allzeit präsent mit ihrem Kontrabass als lebender Soundtrack, macht so Geschmacksverstärkung für Szenen-Zuspitzungen. Manchmal, wenn sie zu laufenden Dialogen weiter zupft oder streicht, wirkt das wie ein Untersetzer zur Vermeidung von Naturalismus-Flecken. Im Hintergrund ist mit ungebremster Metaphern-Wucht ein Eisblock-Altar voller Whisky-Flaschen aufgebaut, dort wird Verzweiflung on the rocks zur Selbstbedienung angeboten.
Der verlorene Lieblingssohn Brick mit dem gebrochenen Knöchel, gefangen in der Erinnerung an eine (jaja, 1955!) „nicht schmutzige“ Männerfreundschaft und eingeklemmt zwischen Über-Vater und dominanter Ehefrau, ist dort klimpernder Stammgast. Stefan Willi Wang spielt ihn feinfühlig als melancholisches Opfer, bezwingend in seiner stillen Trauer und dem diffusen Ekel vor der verlogenen Welt, die ihn ja doch aufsaugen wird. Dass er den Ex-Sportler, der da mit Krücke und Schnapsglas um sein inneres Gleichgewicht kämpft, zur artistischen Hüpf-Nummer auf einem Bein ausbaut, ist dann einfach zu viel des Gewollten. Josephine Köhler wird ihrem Ruf als Offensiv-Schauspielerin wieder mal gerecht, indem sie die ehrgeizige Maggie als schnatternde Nervensäge vorführt und danach mit allen Reizen von Bosheit und Erotik funkeln lässt. Dass sie mit manikürten Krallen auf allen Vieren über den Boden kriecht, weil sie ja schließlich „die Katze“ ist, geht aufs Regie-Konto der Überdeutlichkeiten. Darunter leidet Elke Wollmann am meisten, denn die entmachtete Glucke, die sie als Big Mama im glaubwürdigen Ton der Unverbesserlichen spielt, führt die Inszenierung mit ausgestopften Hüften vor – so als ob der unflätige Trump-Tonfall des frauenverachtenden Haustyrannen bestätigt werden müsste. Dabei ist der Big Daddy von Michael Hochstrasser geradezu ein Mahnmal der Gestrigkeit, glasklar im Egotrip bis zum unvermeidlichen Abstieg.
Da wird es nochmal richtig metaphernselig und dazu versenkungsfreudig in Schmiedleitners Rundum-Regie. Daddy und Mama steigen die hinteren Stufen hinab (es dampft von dort und man erinnert sich an den vorherigen Dialogsatz beim Familienstreit , der sarkastisch lautete „Öffne die Tür zur Hölle, damit Luft reinkommt“), danach fährt die Bühne steil hoch für die absurde Verklärung von Brick und Maggie. „Love me tender“ gibt der zugespielte Elvis dem amerikanischen Traumpaar auf dem Weg nach oben oder wohin auch immer mit. Ach ja, die USA. Ach nein, Schauspielregie mit Opernaroma. Das Publikum der ausverkauften Premiere feierte die Schauspieler lautstark, den Regisseur auch mit – und ging dann schnell. Nach einem Comeback für Tennessee Williams sah es nicht aus.