Foto: Poch, der Windhund (Hanna von Peinen, M.) und die Ärzt:innen (v.l.n.r.: Vincent Doddema, Luise Ehl, Johannes Schmidt) © Andreas Etter
Text:Andreas Falentin, am 21. September 2024
Die deutsche Erstaufführung „Kranke Hunde” von Ariane Koch am Staatstheater Mainz schafft aus disparaten dramaturgischen Elementen ein bemerkenswert klares Gesellschaftsbild.
Poch ist ein Windhund, der schon viele Rennen gewonnen hat, sozusagen ein Erfolgsmensch. Er steht als eine Frau in Sportklamotten auf der Bühne, lässt sich feiern, genießt es und bricht dann aber zusammen. Er kommt in ein Hundehospital mit Hundeärzt:innen. Und plötzlich ist er zweimal da, als zwei Frauen in identischen Sportklamotten. Die zweite hat den Kopf verbunden, ist dem Besetzungszettel nach das „Hundegehirn“.
Ein Hundekrankenhaus und viele Fragen
Das Spiel beginnt, ist aber nicht immer verständlich. Klar ist, dass Poch ein Burnout hat, dass die Ärzt:innen an ihr herumdoktern und – mit vielen, gut ausgespielten Pointen – nie die Absicht haben, sie wirklich zu heilen. Aber warum das Hundegehirn auf der Bühne steht, bleibt undurchsichtig. Wie die Katze Rosali Höllenkatz, immerhin eine klare Mephisto-Figur, eine Verführerin, in die Hundeklinik reinpasst, auch. Es ist auch nicht klar, wer der Türsteher Cerebras ist, der im zweiten Teil unvermittelt auftaucht. „Cerebral” bedeutet auf Deutsch „das Großhirn betreffend”. Die Figur hat drei Köpfe und ist angeleint, vielleicht ist Kerberos gemeint, der Höllenhund der griechischen Mythologie. Eine Handlung im engeren Sinne gibt es um die Figuren nicht. Am Ende wird Poch operiert und steht entmenscht da, ohne Gesicht und Seele, ein schreckliches, sehr berührendes Bild.
Blanka Rádóczy schmiegt ihre Inszenierung kompetent in das eigene Bühnenbild – eine Batterie von Tierkäfigen, links eine Jalousie, in der Mitte zwei Krankenhausliegen. Sie führt das Ensemble flüssig und genau. Aber die Inszenierung erklärt keine Handlung, schafft keine Konstellation, kein Beziehungs-Karussell, lässt die disparaten Elemente dieses Stückes ungebremst aufeinanderprallen. Pochs Klagetexte, von Hannah von Peinen bemerkenswert souverän gesprochen, klingen nach dadaistischen Gedichten mit sophistischem Hintergrund, die Dialoge des Ärzteteams nach fast kabarettistischer Satire auf das Gesundheitssystem. Vincent Doddema brilliert als Höllenkatz und selbstgewisser Showman, Johannes Schmidt ist als Cerebras angemessen unheimlich. Luise Ehl spielt eine mit schwäbischem Dialekt witzig verkleidete Mitpatientin. Andrea Quirbach rennt als Hundegehirn etwas orientierungslos durch dieses Chaos.
Chaos und Ordnung
Und trotzdem ergreift und amüsiert „Kranke Hunde“ von der 36-jährigen Schweizer Dramatikerin Ariane Koch in der deutschen Erstaufführung das Mainzer Publikum auf der Studiobühne U17. Weil das schlüssige Gesellschaftsbild von allen Figuren, auch von Erzählung-, Gleichnis- und Anspielungsebenen geteilt wird: Eine kalte Welt als Show für das Ego, von Selbstbestätigung und Geld geprägt, wo es nie um den Menschen an sich geht. Ein Gesundheitssystem ohne jedes Gefühl für den Patienten, ein empathieloser Raum als Wirtschaftsmaschine, so übertrieben und sprachlich raffiniert gezeichnet, dass es einfach stimmt. Nur Poch und sein Gehirn in der Mitte der Konstellation sind zu zweit – und komplett hilflos! Was für eine Welt, wäre sie doch weit weg von unserer.