Foto: Timon von Athen © Katrin Ribbe
Text:Erik Zielke, am 14. Juni 2024
Andreas Kriegenburg inszeniert William Shakespeares „Timon von Athen“ am Theater Magdeburg vor allem zu Beginn mit Ideenreichtum. Es gelingt eine Produktion, die in Erinnerung bleiben dürfte.
Er kennt seine Gastgeberpflichten. Und so steht er längst parat, bereit zum Handschlag, als das Publikum in den Saal eingelassen wird. Vorfreudig. Timon von Athen erwartet uns, und wir ahnen schon: Nur wer so voller Emphase, wer so kindlich-naiv zu lieben in der Lage ist, der wird die Menschen auch von ganzem Herzen verachten können, sofern seine eitle Zuneigung einmal verletzt wird.
Aber zunächst scheint die Großmut des Titelhelden (sehr kraftvoll: Rainer Frank) noch unerschütterlich. Da steht er, freundlich lächelnd, vor der herrschaftlich gemusterten Tapete seines Eigenheims. Der Lord zeigt gerne, und er gibt gerne. In bester Feierlaune animiert er die Zuschauerinnen und Zuschauer, mit ihm ein Lied zu singen. John Lennons „Imagine“ muss es sein, drunter macht er’s nicht. Diese Einlage in Mitmachtheater gerät nicht unnötig peinlicher, als sie sein muss – nämlich gerade peinlich genug, um uns zu zeigen, dass die Textzeilen mit subversiver Botschaft, fein in Popmusik verpackt, billig zu haben sind für diejenigen, die sie trällern. Es singt sich leicht von Weltveränderung, wenn man es sich leisten kann und wenn es beim bloßen Singen bleibt.
Einnehmender Einstieg
Ein starker, einnehmender Einstieg gelingt Regisseur und Bühnenbildner Andreas Kriegenburg hier am Schauspielhaus in Magdeburg. Kriegenburg, dessen Name eher mit größeren Bühnen in Berlin, München, Hamburg verbunden ist, ist durchaus kein Unbekannter im Sachsen-Anhaltischen. In Magdeburg geboren, hatte er sich in den 80er Jahren am damaligen Maxim-Gorki-Theater in seiner Heimatstadt zum Bühnentischler ausbilden lassen, ehe er Regieassistent wurde. Nach ersten Gehversuchen mit eigenen Regiearbeiten an den Kleinstadtbühnen der untergehenden DDR folgte nach der Wende der Wechsel an die Berliner Volksbühne. Der Rest ist bereits Theatergeschichte.
Für seine Einrichtung von Shakespeares selten gespieltem Klassiker „Timon von Athen“ in der Übersetzung von Frank-Patrick Steckel, der hier in drei Stunden bei einer Pause über die Bühne geht, findet Kriegenburg einen mühelos wirkenden Zugriff. Allmählich treten Timons Gäste auf, die Schmeichler und Herrschaften, die von dessen blindem Vertrauen profitieren wollen. In kleinen, klug montierten Szenen wird ihre Motivation schnell deutlich. Für die feuerfreudige Gästeschar erfindet der Regisseur sehr körperlich und verspielt agierende Typen.
Opfer der eigenen Einfalt
Dass es mit dem nimmermüden Gönner Timon nicht ewig so weitergehen kann, das wird früh klar. Und so geht dem Edelmütigen alsbald das Geld aus. Auf Unterstützung seiner Freunde, die sich zuvor haben aushalten lassen, kann er allerdings nicht hoffen. Es kommt zum großen Knall. Bei einem letzten Fest findet Timon deutliche Worte, bevor er sich als menschenhassender Einsiedler in den Wald vor Athens Stadtmauern zurückzieht.
Diesem so grell wie überzeugend geratenen ersten Teil folgt ein zweiter, in dem die Manie des Titelhelden seiner Depression weicht. Szenische Entwicklung ist hier auch bei Shakespeare nicht aus den Figuren heraus mehr möglich, sondern nur bedingt durch Impulse von außen. Den fantastischen Goldfund, der Timons Schicksal noch ein weiteres Mal zu wenden hilft, dient Kriegenburg für ironische Kommentierung. Vom „Gipfel der dramaturgischen Willkür“ spricht sein Hauptdarsteller. Wie auch soll man mit derlei Einfällen, und stammen sie auch von dem Großen aus Stratford, heute bühnentauglich umgehen?
Der Misanthrop Timon verstößt alsbald die neuen alten Freunde, die, recht erwartbar, wieder anklopfen. Gemeinsame Sache macht er stattdessen mit Alkibiades (Michael Ruchter), der seine eigenen Gründe hat, einen Feldzug auf Athen zu planen. Kriegenburgs Regiezugriff bei diesem zweiten Teil gerät zunehmend undurchsichtig. Wo am Anfang Ideenreichtum herrschte, bleibt nun vieles blass – was sich auch an abfallender Energie im Ensemble zeigt. Dennoch dürfte diese Magdeburger Arbeit in Erinnerung bleiben – als Herantasten an einen sperrigen Stoff, der, untypisch für Shakespeare, den Menschen nicht als ewig Wandelbaren zeigt, sondern als Opfer seiner eigenen Einfalt.