Foto: Die einsame Kaiserin (Anne Schwanewilms) in der Salzburger "Frau ohne Schatten" © Monika Rittershaus
Text:Tobias Gerosa, am 1. August 2011
Gesundes Misstrauen gegen gewisse Operngeschichten ist angemessen und im besten Fall produktiv. Die Botschaft von Hugo von Hofmannsthals „Frau ohne Schatten“ ist zumindest fragwürdig: Nur durch Kinder wird die Frau zur Frau (was ist eigentlich mit den Männern?), dazu kommen die symbolische Be- oder Überlastung des Märchens und natürlich Richard Strauss‘ narkotisierend schöne, extrem wirkungsvolle Musik.
Christoph Loy entzieht sich dem konsequent – mit der lautstarken Ablehnung durchs Salzburger Premierenpublikum musste er da wohl rechnen. Statt der Märchenhandlung mit ihren Verwandlungen und metaphysischen Verwicklungen inszeniert Loy eine Aufnahme der Oper. Johannes Leiacker hat dafür die Jugendstilpracht der Wiener Sophiensäle nachgebaut, den legendären Decca-Aufnahmeort der vierziger bis sechziger Jahre. Da treffen, zwischen Aufnahmeleitern und diversem Personal, gestandene Sänger auf die junge Darstellerin der Kaiserin. Loy übernimmt die Perspektive dieser Titelfigur. Der fehlende Schatten als fehlende Erfahrung bei der Kaiserin, der Kaiser als Startenor, der keine Sekunde zu lange präsent ist, ganz reale Eheprobleme bei den Färbern, einem Sängerpaar, das zusammen engagiert wurde und die Amme als Intrigantin: Soweit geht Loys Übersetzung erstaunlich gut auf. Er führt sie auch mit überragender gearbeiteter Genauigkeit durch – es ist eine wahre Freude, dem Ensemble von Nah zuzusehen, wie es sich kammerspielartig in dieses Spiel gibt (glücklich, wer im großen Festspielhaus nah genug sitzt). Michaela Schusters Amme ist auch Darstellerisch ein Ereignis, Evelyn Herlitzius‘ Färberin steht ihr in Intensität nichts nach und Wolfgang Koch geht im Biedermann, der Barak spielt und ist, kongenial auf. Von dieser Genauigkeit profitiert auch die Textverständlichkeit
Nur läuft die ersten zwei Akte durch nur diese Mikrohandlung. Wie im Stummfilm laufen Bühne und Musik da nebeneinander her. Nur die roten Aufnahmelämpchen signalisieren die Wechsel, wo jetzt Loys Inhalt gespielt oder Strauss‘/Hofmannsthals Oper aufgenommen wird, ob die Darsteller nun gerade Sänger bei der Aufnahme oder Figuren dieser Aufnahme sind. So wird viel gesessen und gestanden, gerade Anne Schwanewilms Kaiserin hat als unsichere Beobachterin nur sehr wenig szenisches Entwicklungspotential – musikalisch erleichtert es ihr, die ganz großen Bögen weit zu spannen. Gefährdet ist sie nur in den Ausbrüchen im zweiten Akt, wo in bei der Premiere ausgerechnet bei der Verfluchung der Amme sehr wirkungsvoll die Stimme kurz weg bricht.
Wie ihr Christian Thielemann und die balsamischen Wiener Philharmoniker das ermöglichen und dabei einen musikalischen Sog sondergleichen entwickeln, ist mustergültig. Wunderbar sind die Farben gemischt und die Motive herausgearbeitet, Thielemann atmet mit den Sängern und breitet die emotionalen und dynamischen Tiefen der Partitur prächtig aus. Einiges wäre vielleicht feiner denkbar, aber kaum wirkungsvoller.
Und dann der dritte Akt: Nach gut drei Stunden funktioniert die Inszenierung auch im Grossen und wird packend, weil jetzt die innere Entwicklung der Kaiserin im Zentrum steht und die Parallelführung der beiden Handlungen aufgeht – etwas spät und nach gewisser szenischer Durststrecke, aber nun sehr überzeugend. Konsequent unterläuft Loy auch die Schlussapotheose mit der einzigen nachvollzogenen szenischen Verwandlung und dem Sprung vom Aufnahmestudio in eine sehr österreichische Weihnachtsfeier. Die junge Sängerin ist wider Erwarten als Solistin angekommen, auch wenn sie’s gar nicht mehr glaubte. Wie die Inszenierung.